Was ist Radikaldemokratie?

[R&B 03/20, Seite 12]
 Podcast, Stimme: Omega

Was ist Radikaldemokratie?

Eigentlich reicht die Berufung auf Demokratie, aber angesichts der Verfälschung dieses Begriffs durch reaktionäre Teile der Gesellschaft und der Entfremdung des Begriffs durch die Ersetzung durch das Konstrukt einer „REPRÄSENTATIVEN Demokratie“, ist die Erwähnung „RADIKAL“ (von der Wurzel her) in Bezug auf zur wörtlichen Demokratie (Volksherrschaft) nicht unbegründet und offensichtlich zweckmäßig!

Die Bedeutung des lateinischen Begriffs „Radikaldemokratie“ ist eigentlich offensichtlich, wenn man weiß, das „radikal“ an die Wurzeln gehend und „Demokratie“ Volksherrschaft bedeutet. Gehen wir also an die Wurzeln der Volksherrschaft und bauen diese von dort aus auf!

Der Ausgangspunkt einer solchen Volks-Herrschaft ist also ein Staatsvolk und deswegen kann in ihr NUR ein Staatsvolk der Souverän sein, das sich auf einem Staatsvertrag (eine Verfassung) und nicht auf eine Ethnie konstituiert. Einem souveränen Staatsvolk macht Niemand Vorschriften, denn der Souverän macht die Regeln, die Verfassung und die Gesetze immer selbst. Macht die Verfassung und Gesetze jemand Anderes, kann von Volksherrschaft, also Demokratie keine Rede sein.

Natürlich kann es gegenüber dem Souverän keine „Geheimnisse/Geheimhaltung“ geben, denn dann steht sofort die Frage im Raum: Wer darf einem „Souverän“ etwas verheimlichen? Wird dem vermeintlichen Souverän etwas vorenthalten und ist dieser nicht dazu in der Lage dieses Unrecht zu beseitigen, so ist der Souverän nicht der wirkliche Inhaber der Macht.

Unter wessen Machtbereich leben wir eigentlich, wenn der vermeintliche Souverän (Das Staatsvolk), weder das Recht der Gesetzeskraft, noch das Recht der umfassenden Informiertheit besitzt, ihm also Geheimdokumente vorenthalten werden dürfen. Wessen Macht ist ein solches System dienstbar unter dem wir leben und das uns eine Beteiligung an der Macht offensichtlich nur vorgaukelt?

Warum wird uns Demokratie vorgegaukelt? Weil die gegenwärtig noch „MÄCHTIGEN“ nur so lange ihre Macht sichern können, wie der legitime Souverän sich nicht besinnt und seine vielfach überlegenen Kräfte organisiert, um selbstbewusst seine Macht zu errichten.

Genau um dieses bis jetzt nicht geschaffene und konstituierte Selbstbewusstsein eines jeden potenziellen Staatsvolkes drehen sich alle Aktivitäten der noch mächtigen Reaktion und im Gegenzug die der progressiven Aufklärer der Volksmassen.

Das Ziel des Neoliberalismus ist es, das Selbstbewusstsein der Volksmassen, über seine weit überlegenen Machtmöglichkeiten, bis ins bodenlose zu erniedrigen und zu zerstören.

Daraus leitet sich dann ganz automatisch die Aufgabe der progressiven Aufklärung ab:

Stetige Förderung und Training des Selbstbewusstseins der Volksmassen über ihre unermesslichen Machtmöglichkeiten, mit denen sie als Einzige jedes zivilisatorische Problem lösen könnten!

Es gibt keinen anderen Ausweg aus den bestehenden Machtverhältnissen, als die Aufklärung der Volksmassen über ihre Macht! Wer etwas anderes behauptet, soll sich zum Beispiel hier in dieser Zeitschrift der Debatte darüber stellen!

Ist das Bewusstsein der Volksmassen über ihre Machtmöglichkeiten erst einmal entwickelt und konstituiert, wird jeder Versuch, ihre Macht zu verhindern, sehr lächerlich erscheinen und kann ganz gelassen beobachtet werden.

Es geht also um das Verständnis und Verhältnis der Macht jedes Einzelnen von uns und wie er diese mit der Macht aller gleichberechtigten Menschen verknüpfen kann, ohne seine Autonomie, oder die Autonomie aller anderen Menschen und Gruppen anzutasten.

Nachdem wir also über 200 Jahre nach der französischen Revolution von 1789-93, welche als erste „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ auf die revolutionäre Tagesordnung gesetzt hatte, eine ganze Reihe von Fehlversuchen erlebt haben, deren programmatischen Vordenker sich teilweise weit vom Ursprung des revolutionären Anspruchs entfernt hatten, ist es Zeit, uns wieder auf die wesentlichen Punkte einer revolutionären Veränderung unserer nur halb zivilisierten Welt zu besinnen. Halb zivilisiert sind wir deswegen, weil immer noch das Recht des im Krieg, oder im Bürgerkrieg Stärkeren herrscht.

Da das „Recht des Stärkeren“ kein Rechtssystem im Sinne des Wortes ist, weil es im Tierreich Normalität darstellt, sind wir also nur auf eine sehr unvollkommene Weise zivilisiert.

Solange die jeweilige Macht nicht in den Händen von Staatsvölkern liegt und die Hauptbeschäftigung der momentanen Machthaber darin besteht, ihre Macht auf unser aller Kosten mit militanten Mitteln durchzusetzen und sie uns also zwingen können, für ihre Interessen unsere Brüder und Schwestern in Kriegen abzuschlachten, leben wir in einer Barbarei!

Wir werden also nicht dadurch zivilisierte Wesen, indem wir uns gewaltsam Lebensmittel verschaffen, die wir dann wieder gewaltsam verteidigen müssen, sondern indem wir die Ursachen für eine Welt der Gewalt, in der mehr als genug für alle da ist, beseitigen!

Erst wenn wir mit diesem barbarischen Treiben Schluss machen können und aufhören in einer Welt des Reichtums unnötig unsere Artgenossen zu töten, werden wir unsere Spezies zivilisiert nennen können.

Wenn diese Zivilisiertheit durch Einzelne bereits gelebt werden möchte, ist sie doch für unsere Spezies noch lange nicht kennzeichnend und die Flucht aus ihrer Mitverantwortung eine Illusion.

Einige unserer Artgenossen halten sich selbst für zivilisiert und blenden dabei aus, dass sie in einer Welt der Ungleichheit nur durch das System der Gewalt der Mächtigen ganz angenehm leben können und also Nutznießer der barbarischen Verhältnisse auf diesem Planeten sind. Würden sie in die Welt des Mangels gestürzt werden, so wie die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten gestürzt sind, dann müssten auch sie um ihr Überleben gegen andere Menschen kämpfen, oder sterben.

In der Regel bekommen die gut situierten Menschen auf diesem Planeten aber leichter Zugang zu diversen Waffen und sind den Menschen, die arm geboren wurden, von Geburt an in dieser Barbarei im Vorteil.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich vor allem an die zahlreichen Handfeuerwaffen in teuren Handtaschen und Handschuhfächern von noch teureren Autos erinnern. Ganz zu schweigen von den Menschen die sich gleich die passenden Leibwächter dazu mieten können, oder gar vom System der Herrschenden gestellt bekommen.

Ein individueller Ausstieg aus der Barbarei in der wir an sehr unterschiedlichen Positionen hineingeboren werden, ist natürlich nicht ohne Schaffung einer humanistischen Alternative möglich, aber die Erkenntnis und Anerkennung der eigenen Situation in dieser Barbarei ist die Grundvoraussetzung für das Ringen um eine wirkliche Zivilisation.

Sozialpolitische Machtpyramide in der Eigentumsgesellschaft.
Diese Grafik ist auf Seite 25 im PDF als Anhang besser zu erkennen

Wir kommen also nur als gesamte Spezies aus der Barbarei heraus, oder gar nicht!

Wem das einmal klar geworden ist, der entwickelt ein besonderes Interesse daran, sich mit allen Individuen seiner Spezies gewaltfrei zu verständigen, um sich mit ihnen über zivilisatorische Ziele zu einigen und sich genau deswegen mit ihnen zweckmäßig zu verbünden. Wer solche zivilisatorischen Angebote leichtfertig, oder gar gewaltsam ausschlägt, hat offensichtlich seine eigene Situation noch nicht in ihrer Fatalität erfasst, denn jedes Individuum, welches heute noch zu den Stärkeren zählt, kann morgen schon einen Stärkeren finden.

Da wir nicht wissen, wie viel Zeit uns bleibt, bevor dieser Planet durch kosmische Zufälle, oder barbarische Aktivitäten unbewohnbar werden könnte, was zu jedem Zeitpunkt möglich ist, appelliere ich an alle zivilisierten Menschen meiner Spezies, die unsere Probleme friedlich lösen möchten, keine weitere Zeit zu verlieren und miteinander kontinuierlich zu verhandeln.

Gegenwärtig gibt es eine Geschichte von radikaldemokratischen Vordenkern die weiter entwickelt werden muss und aus der geeignete Gesellschaftsmodelle und Organisationsstrukturen erwachsen können, die den anstehenden Aufgaben gewachsen sind. Dabei geht es nicht um die Gründung neuer Parteien, die sich dann durch Schwur ihrer Abgeordneten an das bestehende Machtsystem fesseln lassen, sondern um die Schaffung demokratischer Parallelstrukturen.

In anderen Artikeln zu diesem Thema habe ich schon einige Vordenker der Radikaldemokratie erwähnt und heute möchte ich an Cornelius Castoriadis erinnern.

Cornelius Castoriadis (1922 Griechenland-97 Frankreich)

Er lebte als Grieche nach dem 2. Weltkrieg in Frankreich und war an der Herausgabe einer Zeitung („Sozialismus oder Barbarei“) beteiligt , die sich zwischen marxistischen und anarchistischen Lagern bewegte, um das bestehende Machtsystem in radikaldemokratische Verhältnisse zu überführen. Diesen Radikaldemokraten wird nachgesagt, das sie einen Einfluss auf die Studentenerhebung von 1968 hatten, ihn aber nicht wirklich umsetzen konnten, weil ihre Modelle noch zu vage entwickelt und ihre Entschlossenheit zu schwach waren.

Trotzdem deutete diese Tendenz einen Ausweg aus der zivilisatorischen Krise an und konnte Fragen beantworten, wozu die Apologeten des Marxismus und der theoretisch schwache Anarchismus nicht in der Lage waren.

An dieser Stelle möchte ich auf das geschichtliche Vorspiel der Studentenerhebung von 1968 eingehen, was den Kreis schließt und uns wieder zu den Räten führt, denn vor dieser Studentenerhebung beschäftigte sich das Kollektiv der Zeitung „Sozialismus oder Barbarei“ mit den Aufständen in der DDR vom Juni 1953 und dem Aufstand in Ungarn aus dem Jahr 1956, denn mit den Perspektiven einer Radikaldemokratie wurden diese Aufstände erklärbar. Die Widersprüche einer bürokratisch agierenden Macht, gegen die vernünftige Selbstverwaltung eines Staatsvolkes, führen unweigerlich zu einer virulenten Krise jedes Machtsystems, das nicht auf der Herrschaft eines Staatsvolkes basiert. In beiden Aufständen wurden souveräne Bestrebungen der Bevölkerung deutlich, die sich gegen eine bürokratische Bevormundung richteten und zur Bildung von Räten führten.

„Sozialismus oder Barbarei“ hatte dem marxistischen Modell einer „Diktatur des Proletariats“ noch kein wirklich radikaldemokratisches Model entgegen gestellt, aber sie setzten sich vehement für eine “Arbeiterselbstverwaltung” ein und prangerten die Unterdrückung dieser durch eine Parteibürokratie an. Damit hatten sie bereits eine theoretische Vorarbeit geleistet, wodurch die Aufstände erklärbar wurden.

Sozialismus ist allerdings keine radikaldemokratische Kategorie und auch keine klassenlose Gesellschaft, da für deren ökonomische Grundlage immer noch das Eigentumsrecht angedacht wird, was eine marktwirtschaftliche, also kapitalistische Wirtschaftsweise, auf der Grundlage von Lohnabhängigkeit (Lohnsklaverei) beinhaltet und automatisch soziale Unterschiede, wie die in einer Klassengesellschaft beibehält. Außerdem haben „Sozialisten“ nie behauptet, dass die gesamte politische Macht im Sozialismus bei einem Staatsvolk liegt, sondern überwiegend in den diktatorischen Händen einer „wohlwollenden“ Parteiführung, die natürlich nie in Frage gestellt werden darf. Die Autoren der Zeitung waren sich also über den Begriff „Sozialismus“ nicht wirklich im klaren und was der eigentlich gegenüber einer Radikaldemokratie mit Besitzrecht konkret Anderes bedeuten soll. Darum auch ihre Verwendung des Begriffs „Arbeiterselbstverwaltung“ der sofort die Frage aufwirft, was denn mit den anderen sozialen Klassen der Eigentumsgesellschaft geschehen soll, wenn die Frage was denn genau mit dem Eigentumsrecht passiert, gar nicht behandelt wird?

Wer dem Begriff „Radikaldemokratie“ mit einer gesunden Skepsis begegnet und bisher nichts darüber gehört, oder gelesen hat, kann sich zum Beispiel leicht die Meinung der Gegner der selben zugänglich machen, in dem er bei Wikipedia und andere „zugelassene“ Nachschlagewerke forscht, welche die Definitionshoheit der gegenwärtigen Machthaber inne haben.

Zu Beginn einer solchen Diskussion ist es meist notwendig, die Verfemung des Begriffs „Radikal“ und dessen Gleichsetzung mit Gewaltabsichten zu beheben. Eine radikale Betrachtung eines Problems bedeutet lediglich, dass nach der Wurzel, dem Ursprung, der Ursache eines Problems gesucht wird, um es von dort aus zu beheben. „Radikal“ wird also sehr oft mit „Extrem“ gleichgesetzt, was extreme Gewaltabsichten suggeriert.

Auch zum Vergleich von “Radikal“ und „Extrem“ empfehle ich die dominanten Nachschlagewerke wie Wikipedia zu bemühen, um sich einer klaren Trennung zu nähern und der weiteren Verfälschung entgegen zu wirken.

Als Begründer der Radikaldemokratie gilt allgemein Jean-Jacques Rousseau mit seinem „Gesellschaftsvertrag“. Dieser Entwurf wurde durch viele Philosophen weiter entwickelt. Eine der prominentesten Philosophen zu diesem Thema war die deutsch-amerikanische Philosophin Hanna Arendt.

Die Basis der „Radikaldemokratie“ ist ausschließlich die Volkssouveränität, also die unumschränkte Macht der Gesamtheit der Staatsbürger mit den Bürgerrechten über Verfassung und Gesetze zu entscheiden und die Staatsgewalten vollständig zu führen und zu kontrollieren. Demokratische Bürgerrechte beinhalten auch das Recht eines jeden Bürgers, Gesetze vorzuschlagen, also auch die Gesetzesinitiative zu besitzen und über alle Gesetze namentlich und öffentlich selbst abzustimmen. Eine Repräsentation durch Abgeordnete in einem Parlament, die von den Staatsbürgern völlig unabhängig agieren dürfen, ist gegenüber eines souveränen Staatsvolkes nicht zulässig. Das bedeutet, dass die Wahl von Repräsentanten, mit vom Volk ungebundenen Mandaten, faktisch einer Entmündigung gleich kommt.

Wenn es also um radikale Demokratie geht, bedarf es einer von Grund auf ganz anderen Staatsstruktur zur Verwirklichung der Interessen eines souveränen Staatsvolkes, weil ein parlamentarischer Vormund ganz unabhängig von seinem Mündel (eine Person die unter Vormundschaft steht) handelt.

Hanna Arendt empfiehlt das Rätesystem als Alternative zum Parlament, doch es gibt verschiedene Namen für die selbe Struktur und diese meinen sinngemäß immer die Selbstverwaltung eines Staatsvolkes, von den kleinsten Einheiten, die dann ihre Macht nach allen Seiten mit gleichrangigen Strukturen verknüpfen und so zweckmäßig vertraglich absichern, dass von einer wirklichen Föderation gesprochen werden kann, welche die Souveränität jedes Einzelnen und jeder noch so unterschiedlich großen Gruppe respektiert.

Der Artikel 146 des Grundgesetzes („Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“, verweist im Grunde nur auf eine imaginäre Volkssouveränität, ist aber eigentlich nur eine Erinnerung an den Gründungsakt der amerikanischen Verfassung, welche tatsächlich vom Volk abgestimmt wurde, die aber letztendlich zur Entmündigung der amerikanischen Volksmassen durch Repräsentanten führte und stellt einen sehr naiven Bezug zur Geschichte der US-Besatzungsmacht, die uns seit dem Ende des 2.Weltkrieges, auf der Grundlage einer Legitimation vom 17. September 1787 „Demokratie“ beibringen möchte. Eine erneute Legitimation dieser „repräsentativen Demokratie“, durch einen erneuten Legitimationsakt des amerikanischen Volkes, der ihm den Entscheid über eine neue Verfassung ermöglichen würde, gab es bisher nicht und ist auch von Seiten der Machthaber nicht erwünscht.

Die Umsetzung des Artikels 146 des GG, der von Seiten der Besatzungsmachthaber am 23. Mai 1949 recht unvorsichtig wurde, ist mit dem Einigungsvertrag vom 31.August 1990 zwischen den Machthabern der BRD und der Rest-DDR, durch Rechtsbeugung umgangen worden und das Grundgesetz, ohne jegliche Legitimierungsmöglichkeit durch die Staatsbürger der DDR, zur gemeinsamen Verfassung erklärt worden.

Damit ist offensichtlich, das die repräsentative Macht der super-reichen Eigentümer, den Volksmassen die Souveränität vorenthält und ihnen auf der Nase herum tanzt. Diese von einem wirklichen Souverän nicht tolerierbare Situation, verlangt nach einer radikalen Veränderung, um die brennendsten Probleme eines uns vorgetäuschten Gemeinwesens, welches von super-reichen Oligarchen in ihren Dienst gestellt ist, lösen zu können.

Wenn wir uns von unseren Vormündern nicht emanzipieren und zur Selbstverwaltung des Staates über gehen, wird unser unzulängliches Gemeinwesen kontinuierlich durch die Beute-Züge unserer gierigen Vormünder, bis aufs letzte Hemd ausgeplündert werden.

Was sind die Voraussetzungen für radikale Demokratie?

Über die systematische Schaffung eines öffentlichen und demokratisch organisierten Debattenraumes, entsteht die erste Verbindung zwischen Individuen und Gruppen, die ein radikaldemokratisches Interesse formulieren. Nur dort können alle Interessierten in Erscheinung treten und gemeinsam über Lösungen für unsere Probleme beraten.

Die Organisation solcher öffentlichen und permanenten Debattenräume, die natürlich ungleichmäßig und verstreut starten, haben die Aufgabe, weite Kreise zu ziehen, bis in allen lokalen Strukturen mit überschaubaren Größenordnungen selbstbewusste Ratsversammlungen entstehen, die nach einer zweckmäßigen Vereinigung streben. Solch lokale Ratsversammlungen der Volksmassen, die dadurch aus der Masse heraustreten und eine ganz neue Konstitution beginnen, sind die Grundstruktur einer jeden demokratischen Gesellschaft. Nur dort kann ein angehendes Staatsvolk Probleme ungehindert debattieren, Lösungen wälzen und qualifizierte Entscheidungen treffen.

Dieser Prozess wurde bereits über die neuen sozialen Medien im Internet ungewollt eröffnet und stößt jetzt mehr und mehr auf den Widerstand der Mächtigen und ihrer Bediensteten. Diese sozialen Medien und ihre Netzwerke sind allerdings nur eine Übung und Vermittler für das, was in lokalen und überregionalen Versammlungen umgesetzt werden möchte.

Auch die genannten alternativen Medien“ können reale existierende demokratische Strukturen vor Ort nicht ersetzen und funktionieren meist als Einbahnstraße, bei der das Publikum keine wirklich gleichberechtigte Einflussnahme hat.

Wir kommen also auf Dauer nicht um hin, uns vielfältig zu vernetzen, zu treffen und demokratisch miteinander zu verhandeln, um eine Parallelstruktur zum bestehenden Macht- und Verwaltungsapparat zu errichten, mit dem Anspruch diese durch die unser aller Selbstermächtigung- und Selbstverwaltung zu ersetzen.

Wer möchte eine Gesellschaft, in der radikale Demokratie und Besitzrecht in der Verfassung verankert ist?

Die Frage ist eventuell leichter zu beantworten, wenn ich sie umgekehrt stelle:

Wer möchte nicht, dass radikale Demokratie und Besitzrecht statt dem Eigentumsrecht in der Verfassung einer zukünftigen Gesellschaft verankert ist?

Was hält das Großbürgertum davon?

Wenn wir jetzt vermuten, dass alle “Eigentümer”, die durch Eigentum dazu in der Lage sind, fremde Arbeitskraft auszubeuten und also ihren Lebensunterhalt nicht selbst erarbeiten müssen, sondern erarbeiten lassen, weder an radikaler Mitbestimmung der Volksmassen, noch an der Ersetzung des Eigentumsrechts durch das Besitzrecht interessiert sind, dann wäre das logisch. Doch das stimmt nicht immer mit der Realität überein.

Auch unter diesen Menschen vermute ich eine ganze Reihe Individuen, die in dieses Wirtschafts-System hineingeboren wurden und denen durchaus bewußt geworden ist, dass die Herrschaft reicher Oligarchen, unsere noch sehr unvollkommene Zivilisation mit mathematischer Sicherheit in den Abgrund führt, weil ein ewiges Wachstum, auf einem Planeten mit begrenzten Möglichkeiten nicht realisierbar ist.

Ihnen schwant, was passieren könnte, wenn der nicht zu verhindernde Kollaps dieses Systems, massenhaft Menschen ins Elend stößt, die bis dahin ihre treuesten Gefolgsleute und Träger des Systems waren.

Wir möchten auch mit diesen Menschen aus reichem Hause verhandeln, bevor es so weit kommt und wir alle die Kontrolle über die gesellschaftlichen und ökonomischen Mechanismen verlieren. Lasst uns alle vernünftigen Menschen versammeln, um einen gewaltfreien Übergang in ein weltweites, humanistisches Gemeinwesen zu ermöglichen.

Wie verhält sich das Kleinbürgertum dazu?

Wenn wir die Klasse der Menschen erwähnen, die ihren Lebensunterhalt ausschließlich durch Ausbeutung mittels Eigentum bestreiten, dann müssen wir auch auf die Klasse eingehen, welche dies nur zum Teil macht und deswegen noch selbst arbeiten muss, das so genannte Kleinbürgertum.

Diese Klasse befindet sich im totalen Niedergang, weil sie vom Großbürgertum und seinem Staat mehr und mehr verspeist wird. Wenn diese Klasse in der Vergangenheit eine sichere Bank für die herrschenden Oligarchen war, so können sie sich heute nicht mehr so sicher sein. Viele Vertreter des Kleinbürgertums sind bereits in Bewegung und suchen meist verzweifelt einen Ausweg. Diese Verzweiflung macht sie oft sehr ungeduldig und unberechenbar, so das ihr Radikalisierungsprozess oft sehr merkwürdige Blüten trägt.

Durch diese Klasse speisen sich viele kleine und manchmal auch größere extreme Gruppierungen, von denen oft eine Gefahr für ein friedliches Gemeinwesen und damit für eine friedliche Lösung unserer aller Probleme ausgeht. Dabei ist es unwesentlich, ob sich diese Gruppen einen linken, oder rechten Führer/Diktator suchen wollen der all ihre Probleme löst. Beide Varianten würden wieder unsägliches Leid über die betroffenen Menschen bringen, weil es immer auf die gewaltsame Unterdrückung aller anderen Menschen hinausläuft, die dann wiederum gezwungen sind so lange gewaltsamen Widerstand zu leisten, bis sie diese Plage wieder los sind. Welche Gewaltherrschaft auch immer errichtet wurde, sie war nie von Dauer!

Zu unserem Glück, dem Glück meiner Klasse der Lohnabhängigen, gibt es auch sehr viele vernünftige Menschen aus dem Kleinbürgertum, die bereit sind, nicht nur mit den Vertretern der sozialen Klasse über ihnen eine friedliche und gleichberechtigte Lösung zu verhandeln, sondern auch mit den Vertretern meiner Klasse. Diese progressiven Kräfte des Kleinbürgertums bilden einen unverzichtbaren Bestandteil für eine radikaldemokratische Veränderung der Gesellschaft hin zu einem humanistischen Gemeinwesen.

Ohne die progressiven Vertreter des Kleinbürgertums, die über alle Klassengrenzen hinweg eine gleichberechtigte Verhandlungsbereitschaft an den Tag legen, hat die Menschheit keine Möglichkeit den letzten Schritt aus dem Tierreich zu machen und eine humanistische Zivilisation aufzubauen.

Gerade die Vertreter des progressiven Bildungs-Bürgertums haben in den letzten Jahren fähige Intellektuelle hervorgebracht, die uns täglich das Wissen bringen, welches wir unbedingt für qualifizierte Entscheidungen benötigen.

Neben den unzähligen Wissenschaftlern, die uns den technischen Fortschritt ermöglichen, aber im Interesse Einzelner Großeigentümer ausgebremst und zurückgehalten werden, um unsere Probleme eben nicht zu lösen, gibt es eine große Anzahl von Gesellschaftswissenschaftlern, die uns immer zahlreicher ihre Vorschläge für eine radikale Veränderung der Gesellschaft, hin zu einer menschlichen Gesellschaft unterbreiten.

Das Kleinbürgertum stellt auch die übergroße Anzahl der Organisatoren in der jetzt noch vorherrschenden Ökonomie. Ohne diese Organisatoren, Ingenieure und Verwalter können wir die Wirtschaft nicht ohne Probleme auf die Interessen eines wirklichen Gemeinwesens umstellen. Geplante Obsoleszenz (geplanter Ausfall von Produkten) kann nicht im Interesse eines Gemeinwesens sein, genauso wenig wie gesundheitsgefährdende Produkte und das Zurückhalten von Erfindungen, die für ein Gemeinwesen praktisch und sinnvoll wären, aber die Profite einzelner Großeigentümer gefährden.

Die Befreiung der Kapazitäten dieser Fachkräfte von den Zwängen der Profitwirtschaft für Einzelne, würde sofort eine ökonomische Revolution auslösen und jedes inhumane Profitdenken hinwegblasen.

Die Ketten des Kleinbürgertums, welche sie an die herrschenden Oligarchen binden, sind vielfältige Privilegien und das Versprechen, durch den Erwerb von genügend Eigentum, selbst in die Klasse der Oligarchen aufsteigen zu können. Diese Oligarchen haben aber nie daran gedacht, ihre potenzielle Konkurrenz aus dem Kleinbürgertum wirklich bis auf ihre soziales Niveau zu heben. Da die Möglichkeiten Profit zu gewinnen, immer geringer werden, ist das Großbürgertum bei Strafe seines Untergangs dazu gezwungen, auch das Eigentum und die Privilegien des Kleinbürgertums zu verzehren.

Das unerbittliche Gesetz der Anhäufung von immer mehr Reichtum, auf immer weniger Großbürger, kennt gar keinen anderen Ausgang als den totalen Kollaps der Drei-Klassengesellschaft. Das Kleinbürgertum (der Mittelstand), befindet sich in einem unaufhaltbaren Niedergang, weil das Großbürgertum davon lebt.

Unter den Obdachlosen stellt das Kleinbürgertum den größten Anteil, weil sich hoch verschuldete Kleinbürger nicht einmal mehr durch Lohnarbeit retten können.

In einer Gesellschaft mit Besitzrecht ist ein solches Elend undenkbar, weil man keinem Menschen etwas wegnehmen darf, was er zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse in Besitz hat und selbst, oder in kooperativer Gemeinschaft nutzt. Eigentlich entspricht dieses Besitzrecht dem elementarsten Menschenrecht und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN vom 10.12.1948, welche gegenwärtig keine relevante Bedeutung gegenüber den Interessen reicher Eigentümer hat.

Am Ende entscheidet jeder Kleinbürger selbst, welchen Ausweg er aus dem Dilemma seiner Klasse wählt. Wir hoffen, dass sich möglichst viele von ihnen durch Vernunft leiten lassen und nicht auf kurzzeitige und einseitige Vorteile setzen.

Wie denken Lohnabhängige darüber?

Schon Rousseau schrieb, dass alle Menschen die gezwungen sind, einem Lohnerwerb nach zu gehen, um ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen, Lohnsklaven sind.

Wenn ich hier nicht auf das Wort Arbeiter zurückgreife dann deshalb, weil dieser Begriff nicht ausreicht, um eine klare Trennung zwischen dem Kleinbürgertum und den Lohnabhängigen zu ziehen.

Viele Menschen, die in einer gut bezahlten und festen Stellung als so genannte Arbeiter unter gekommen sind, leben oft sicherer und sorgenfreier als die untersten Schichten des Kleinbürgertums. Darüber hinaus haben einige sehr gut bezahlte Arbeiter so viel Lohn übrig, um Eigentum zu erwerben, den sie eben nicht für ihre eigenen Lebensbedürfnisse benötigen und nebenbei beginnen, mit ihrem Eigentum andere Menschen auszubeuten.

Eine Extrastellung nehmen da noch die zahllosen Kriminellen Subjekte meiner Klasse ein, die sich offiziell, besonders vor Ämtern als Arme Proleten präsentieren, aber insgeheim das Leben eines (wenn auch kriminellen) Kleinbürgers führen:

Hinzu kommen unzählige durch kleine Privilegien korrumpierte Gruppen des Proletariats, die auf einen sozialen “Aufstieg” hoffen und den “Mächtigen” gern zu Diensten sind.

Das ach so revolutionäre Subjekt der Arbeiterklasse ist also nicht automatisch revolutionär und speist sich in der Realität aus allen drei Klassen und deswegen müssen wir mit allen verhandeln.

Dennoch möchte ich vermuten, dass die Vertreter meiner Klasse am wenigsten gegen die Einführung von Radikaldemokratie und Besitzrecht statt Eigentumsrecht einzuwenden haben und die soziale Lage eines Menschen einen sehr wichtigen Einfluss auf sein Bewußtsein haben kann, aber dieser ist nie absolut und kann schlecht als sichere Bank betrachtet werden. Große Teile der Klasse der Lohnabhängigen ist fast ausschließlich der Propaganda der herrschenden Klasse ausgesetzt und das hat natürlich Folgen hinterlassen. Ihr Selbstvertrauen ist stark beschädigt, ihre Fähigkeiten zur Selbstverwaltung verstümmelt und Gehorsam wurde ihnen meist von den Eltern, der Schule und ihren “Arbeitgebern” anerzogen.

Was sind die praktischen Schritte da hin?

Wenn wir zurück gehen bis zur französischen Revolution, dann entdecken wir dort Volksgesellschaften mit den unterschiedlichsten Namen die sich radikaldemokratisch organisierten, Debatten abhielten und Zeitungen heraus brachten. Sie waren die Voraussetzungen für alle weiteren demokratischen Entwicklungen rund um die sich gebildeten Kommunen und ihren Sektionen. Erst diese Volksgesellschaften versetzten die Pariser Volksmassen in die Lage, qualifizierte Entscheidungen zu treffen und eine effektive Selbstverwaltung zu beginnen.

Sie debattierten alle Gesetzesvorlagen und Änderungsvorschläge, sowie alle zu fassenden Entscheidungen im öffentlichen Raum, damit sie gut vorbereitet und informiert waren, falls sie Entscheidungen zu fällen hatten.

Die französischen Gelbwesten, die sich natürlich politisch uneinheitlich zusammensetzen, genau wie jede andere Organisation, hatten genau diesen alten Weg wieder eingeschlagen und organisieren wieder Versammlungen in denen debattiert, beraten und beschlossen wird. Dies tun sie ausdrücklich ohne privilegierte Politiker. Wenn Menschen mit Parteibüchern an solchen Versammlungen teilnehmen, spielt ihre Zugehörigkeit zu einer Partei keine Rolle, weil es ihnen keinerlei Privilegien in einer solchen Versammlung verschafft.

Natürlich sind wir in einer sehr guten Situation, wenn wir solche Versammlungen mit Hilfe der sozialen Medien vorbereiten können, aber diese sind kein Ersatz für reale Versammlungen.

Bevor es in Deutschland zu noch größeren Massenprotesten kommt und die werden vermutlich kommen, haben wir vielleicht noch etwas Zeit uns vorzubereiten und einen radikaldemokratischen Nukleus zu formen, der dann in Volksversammlungen mit seinen Vorarbeiten helfen kann.

Wir können dafür sorgen, dass möglichst breite Massen bereits jetzt erfahren, was demokratische Grundprinzipien sind und wie sie effektiv angewendet werden, ohne gleich wieder in alte Untertanengewohnheiten zurück zu fallen.

Aufklärung über alle relevanten Vorgänge in Wirtschaft und Politik. Vorbereitung von grundsätzlichen Zügen einer neuen Verfassung und neuer Gesetze.

Klärung des Unterschieds zwischen Eigentum und Besitz und welche verschiedenen Ökonomien sie hervorbringen. Vielen ist überhaupt nicht klar was es bedeutet, wenn das Eigentumsrecht gegen das Besitzrecht ausgetauscht wird. Erst wenn das den meisten Menschen klar geworden ist, haben sie ein simples aber sehr wirkungsvolles Ziel vor Augen und wissen wo die Hebel der Macht vor ihnen verborgen werden.

Solche wichtigen Begriffe wie das “imperative Mandat” für alle Funktionsträger, oder was bedeutet es als Staatsvolk “souverän” zu sein, all dies ist den Volksmassen entweder vorenthalten, oder völlig falsch und in hinterlistiger Absicht übermittelt worden.

Die herrschende Staatstheorie ist völlig absurd und verschleiert hauptsächlich die Macht von Oligarchen.

Der Begriff “Macht” ist sogar so entfremdet worden, dass die Menschen in der Regel gar keine Vorstellung vom Unterschied zwischen Macht und Gewalt haben. Wie kann man mit solchem theoretischen Unfug die “Gewaltenteilung” im Verhältnis zur “Macht” erklären wollen, die ja angeblich vom Volk ausgeht, das aber gar keinen wirklichen Einfluss auf die obendrein faktisch nicht geteilten Gewalten des Staates hat. Wer aber hat diesen Einfluss? Wer hat wirklich die “Macht” in diesem System? Das wird versucht zu verschleiern, damit die Volksmassen nicht bemerken, wie sie um ihren “Machtanspruch” betrogen werden.

Um die herrschende, aber völlig absurde Staatstheorie, die 5 Gewalten aufzählt und die Frage, “wo sich die Macht befindet” nicht wirklich beantworten möchte, durch eine demokratische zu ersetzen, benötigen wir eine öffentliche Debatte darüber und dazu lade ich hier alle Interessenten mit Leserbriefen und eigenen Beiträgen ein.

J.M.Hackbarth

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Von Redaktion

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