Der linke Flügel des intellektuellen Kleinbürgertums hat die Orientierung verloren und irrt verzweifelt umher!

[Der Aufstand 09/24, Seite 10]
 Podcast, Stimme: Omega

Der linke Flügel des intellektuellen Kleinbürgertums hat die Orientierung verloren und irrt verzweifelt umher!

Am 07.11.2023 veröffentlichte „apolut“ einen Artikel von Ullrich Mies als Nachdruck, der zuvor am 03.11.2023 bei „manova.news“ erschienen war. Jetzt habe ich gerade mal Zeit, um darauf zu reagieren.

https://apolut.net/macht-ist-recht-von-ullrich-mies/?fbclid=IwAR0ICkZhChWqMRt_SaSlCV45dnVYf0j31otdbV7iAw_DdXACj3S9jM3mjcc

Ullrich Mies bewirbt mit dem Artikel „Macht ist Recht“, sein neues Buch mit dem Titel „Das 1×1 des Staatsterrors“. Abgesehen davon, dass dieses Buch nicht nötig ist um über Staatsterror aufzuklären, weil das leicht nachzuschlagen ist, verbreitet er mit der Überschrift seines Artikels „Macht ist Recht“, ohne dahinter ein Fragezeichen zu setzen, eine fatale Falschaussage und verwirrt das Publikum noch mehr, anstatt über das Verhältnis von „Macht“ und „Recht“ in korrekter Weise aufzuklären.

Mir ist nicht klar, ob U.Mies ungenügend gebildet ist und die Klassiker der Aufklärung, wie Jean-Jacpues Rousseau zu diesem Thema einfach nicht kennt, oder ob er sie aus politischen Gründen hartnäckig ignoriert. Laut Rousseau erwächst aus Macht, also dem „Recht des Stärkeren“ niemals ein Rechtssystem, weil das Recht des Stärkeren im Tierreich Normalität ist und es sich dabei natürlich um ein Naturrecht und kein zivilisiertes Rechtssystem handelt. Von einem „Rechtssystem“ kann erst gesprochen werden, wenn es auf der Basis von freiwilligen Vereinbarungen zwischen den Menschen errichtet wird und keine staatliche Gewalt zu dessen Einhaltung benötigt. Genau deswegen heißt das Hauptwerk in der Rousseau dies belegt „Der Gesellschaftsvertrag“, woraus ich hier zwei passende Zitate anführen möchte:

.. 1. Kapitel
Würde ich nur auf die Gewalt und die Wirkung die sie hervorbringt, Rücksicht nehmen, so würde ich sagen: solange ein Volk gezwungen wird zu gehorchen, so tut es wohl, wenn es gehorcht; sobald es sein Joch abzuschütteln imstande ist, so tut es noch besser, wenn es dasselbe von sich wirft, denn sobald es seine Freiheit durch dasselbe Recht wiedererlangt, das sie ihm geraubt hat, so ist es entweder befugt, sie wieder zurück zu nehmen, oder man hat sie ihm unbefugter Weise entrissen. Allein die gesellschaftliche Ordnung ist ein geheiligtes Recht, das die Grundlage aller übrigen bildet. Dieses Recht entspringt jedoch nicht aus der Natur; es beruht folglich auf Verträgen. … „

„ … 3. Kapitel – Recht des Stärkeren
Der Stärkste ist nie stark genug, um immerdar Herr zu bleiben, wenn er seine Stärke nicht in Recht und den Gehorsam nicht in Pflicht verwandelt. Daher entspringt das Recht des Stärkeren, ein Recht, das scheinbar ironisch aufgefasst und in der Tat doch als Prinzip anerkannt wird. Aber wird man uns dieses Wort den nie erklären? Die Stärke ist ein physisches Vermögen; ich begreife nicht, welche sittliche Verpflichtung aus ihren Wirkungen hervorgehen kann. Der Stärke nachgeben ist eine Handlung der Notwendigkeit, nicht des Willens, höchstens eine Handlung der Klugheit. In welchem Sinne kann es eine Pflicht sein?

…“

Wer also wie Ullrich Mies davon ausgeht, das „Macht Recht ist“, ohne dies mit einem Fragezeichen deutlich in Frage zu stellen, der hat den Unterschied zwischen dem Naturrecht der Macht eines Stärkeren und dem Rechtssystem einer zivilisierten und auf Freiwilligkeit beruhenden Gesellschaft nicht verstanden. Sein Verständnis-Dilemma ist einfach zu erklären, wenn man seine politische Herkunft aus dem Umfeld der „Diktatur des Proletariats“, mit einer utopisch – anarchistischen Perspektive als Endziel berücksichtigt. Er verdrängt wegen seiner kleinbürgerlichen Orientierung, welche eine radikaldemokratische und gleichberechtigte Beteiligung der Lohnsklaven an der Macht über die Verfassungs- und Gesetzgebung ablehnt, weil diese natürlich dem Kleinbürgertum zahlenmäßig überlegen sind, jede echte Volksherrschaft. So tendiert er in seinem Konflikt mit der Oligarchie des Großbürgertums, welches durch ein käufliches System von Repräsentanten herrscht und uns als Demokratie dargestellt wird, für Kleinbürger ganz typisch, zu dessen Diktatur und wenn das nicht geht zur Anarchie, also wieder zur Herrschaft des Stärkeren, ganz ohne jeden Schutz eines Staates vor Willkür. Aber mit der Herrschaft des Volkes durch radikale Demokratie, damit haben Kleinbürger ein Problem, weil ihr Status als privilegierte Klasse gegenüber der Klasse der Lohnsklaven in Gefahr ist.

Da sich sowohl die „Diktatur des Proletariats“, als auch die „Anarchie“ als völlig untauglich erwiesen haben, zwischen denen U.Mies in seinem Artikel diffus hin und her schwankt, weil er einen Staat streckenweise überhaupt ablehnt, scheint es an der Zeit, mit allen Mitgliedern einer Gesellschaft gleichberechtigt über eine Gesellschaftsform zu verhandeln, in der ein „Rechtssystem“ auf freiwilliger Basis errichtet wird und die Staatsgewalten unter der Macht aller Staatsbürger und deren Räte gestellt sind. Eine solche Gesellschaft kann eben nicht auf der Basis eines Systems von Vertretern mit einem „ungebundenen und deshalb käuflichen Mandat“, oder von Diktatoren gestellt werden, sondern auf der Basis von Funktionären mit „imperativen (befehlenden) Mandaten“, wie sie bereits Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden und andere Schriften“ vorgeschlagen hatte. Wer die Macht hat, der muss zu jeder Zeit die Macht haben, über Verfassung, Gesetze und Personalfragen neu zu entscheiden. Wenn das in einem Staat nur Einzelne, oder eine privilegierte Gruppe darf, handelt es sich nicht um einen Staat in dem die Staatsbürger die Macht haben. Die Frage lautet also immer:

Wessen Staat ist der Staat – ist es der Staat des Großbürgertums (eine Oligarchie), der Staat des Kleinbürgertums (eine Diktatur), oder der Staat aller Staatsbürger, also ein Staat ohne die Macht sozial privilegierter Eigentümer?

Anders formuliert:

Haben die Groß-Eigentümer die Macht über Verfassung und Gesetze, die Klein-Eigentümer, oder die tatsächlichen Besitzer der Produktionsmittel?

Wenn von „Macht“ die Rede ist, dann sollte immer ganz genau zwischen der Macht der Verfassungs- und Gesetzgebung und die Kontrolle über die Staatsgewalten unterschieden werden. U.Mies unterscheidet in seinem Artikel „Macht ist Recht“, ganz offensichtlich nicht zwischen „Staats – Macht“ und „Staats – Gewalt“, was nicht zur Aufklärung darüber beiträgt, sondern seine und die Verwirrung des Publikums verstärkt.

So ist es für die Funktion einer Demokratie wichtig zu verstehen, dass zwar nicht alle Staatsbürger physisch und gleichzeitig Teil aller Staatsgewalten (Exekutive, Judikative und Mediative) sein können, um direkt die Staatsgewalt ausüben zu können, aber sie können im Kollektiv die Macht über die Staatsgewalten ausüben und diese mit imperativen Mandaten sichern und voneinander trennen, so das diese sich keinesfalls verbünden und gegen die souveränen Staatsbürger verselbständigen, also putschen können. Dazu ist es wichtig, dass die Staatsbürger als Kollektiv die militärische Gewalt in ihren Händen behalten und nur polizeiliche, juristische und mediale Aufgaben an die Staatsgewalten mit befehlenden Mandaten übertragen.

Das ist natürlich „Radikaldemokratie“ und von dieser wollen Diktatoren aller Couleur, wie auch die Diktatoren des Proletariats und Anhänger der Anarchie nichts wissen.

Nachdem ich hier bereits zwei Vordenker der Radikaldemokratie ins Feld geführt habe, möchte ich den radikaldemokratischen Vordenker Niccolo Machiavelli gegen die Verleumdungen von U.Mies verteidigen und rehabilitieren. Auch die Bedeutung und Aussagen der Schriften von N. Machiavelli erschließen sich für Diktatoren nicht. Sie überlesen einfach die Warnungen des Autors an die Fürsten, sich lieber für Volksherrschaft und eine Volksarmee zu entscheiden, als für ihren Absolutismus und Söldnerarmeen. Auch U.Mies pickt sich bei Machiavelli nur das heraus, was in seine Ideologie passt, aber kommt nicht auf den Punkt, in dem er uns offenbart, welches Machtsystem er eigentlich anstrebt. Will er zurück in ein „gutes“ Repräsentationssystem, in die „Diktatur des Proletariats“, oder in die „Anarchie“.

Die „Radikaldemokratie“ scheint ihm völlig fremd zu sein, obwohl sie ihm in der klassischen Literatur ständig begegnet. Er sieht sie nicht, weil sie nicht in seine kleinbürgerliche Ideologie passt und als Gesellschaftsmodell, welches den Lohnsklaven den Löwenanteil der Macht über Militär, Verfassung, Gesetzgebung, Medien und alle Mandatsträger ermöglichen würde, instinktiv ablehnt. Wer diesen Umstand leugnet, der sollte erklären, warum die radikaldemokratischen Ansätze in der klassischen Literatur von kleinbürgerlichen Intellektuellen in der Regel nicht beachtet, oder wahrgenommen werden, wenn der Grund nicht in ihrer sozialen Befangenheit gegenüber der Machtbeteiligung der Klasse der Lohnsklaven begründet ist.

Ich möchte die Radikaldemokratin Hanna Arendt aus ihrem Werk „Über die Revolution“ zur Bedeutung von Machiavellis Rolle zitieren:

„ … Überzeugender noch wirkt die damals ganz neue und heute noch schockierende Theorie von der positiven Rolle der Gewalt im Bereich des Politischen, die dann im Laufe der Französischen Revolution Robespierre in fast den gleichen Worten ausspricht und die in beiden Fällen so seltsam unvereinbar erscheint mit der Bewunderung gerade der römischen Republik, in der für das Verhalten der Bürger nicht Gewalt, sondern Autorität maßgebend war. (Unsere eigene Neigung, Gewalt mit Autorität zu verwechseln bzw. miteinander gleichzusetzen, dürfen wir weder bei Machiavelli noch bei Robespierre voraussetzen, die beide noch bei den Römern wirklich in die Schule gegangen waren.) …“ (Seite 43)

„ … Sehr viel näher als in der Rückwendung zur Antike steht Machiavelli den Revolutionen durch seine ganz unklassische Lehre von der positiven Rolle der Gewalt in der Politik. Sie beruht auf einer doppelten Aporie, die bei ihm noch theoretischer Natur ist, die aber dann in dem Revolutionsgeschehen zu einer unmittelbar praktischen Geltung kommt. … „ (Seite 44)

Ich gehe nicht davon aus, dass U.Mies den Unterschied von Gewalt und Autorität mit eigenen Worten erklären kann, weil er auch Verwirrung über den Begriff des „Faschismus“ verbreitet, den er mit der Oligarchie in der wir leben gleich setzt, bei dessen Charakterisierung er rein gefühlsmäßig agiert und Fakten ausblendet. In der Tat kann sich jede Tyrannei als Faschismus anfühlen, aber unsere Gefühle genügen eben nicht einer wissenschaftlich fundierten Betrachtung. Der Faschismus ist eine Form der Diktatur, mit einem Diktator als Herrscher über Verfassung, Gesetze und allen Staatsgewalten, ohne wählbare Repräsentanten. Wer ist den jetzt „unser“ Diktator und wann wurde die Wahl von Repräsentanten durch eine faschistische Partei abgeschafft? Sein Vergleich ist rein emotional und völlig unwissenschaftlich. Die Qualität seiner Studienabschlüsse muss ich bei aller Rest-Sympathie für seinen guten Willen, anzweifeln.

J.M.Hackbarth

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Von Redaktion

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