Ich schäme mich – Über die Redefreiheit

[Der Aufstand 09/24, Seite 5]

Ich schäme mich: Über die Redefreiheit

Am Samstag, 17.2.24, war ich in Hamburg auf einer Demo für die Freiheit Julian Assanges und damit unser aller Freiheit unterwegs. Also trug ich einen weißen Schutzanzug und vor mir ein Schild mit der Aufschrift FREIHEIT. Im Anschluss ging ich zur Free Palestine Demo. Ich dachte dabei an gewisse Zusammenhänge wie, dass es ja wohl kein Verbrechen ist, zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen beizutragen…

In den letzten beiden Jahren habe ich mich eher zurückgehalten, in ein Mikro zu sprechen. Wider mein Erwarten wollte ich dann doch spontan eine kleine Rede halten. Doch mir ist bewusst, was es heißt, für die Reste meines Rückgrats begrenzte Nachteile in dieser Gesellschaft zu erleiden. Ich hatte auch von der Anpassung des Straftatbestands der Volksverhetzung (§130 StGB) gehört. Selbstverständlich liegt es mir fern, „den öffentlichen Frieden zu stören“ oder auch nur Dinge zu sagen, die andere Menschen ein wenig von ihrem Einkaufsbummel ablenken könnten.

Also fragte ich einen Ordner, wie es auf dieser Versammlung um die Redefreiheit bestellt sei. Dieser schickte mich zu einem noch recht jungen Einsatzleiter der Polizei. Ich fragte ihn, ob ich das Wort Völkermord verwenden dürfe. Er blätterte in seinen Unterlagen und konnte dazu nichts finden. Also trat er ein paar Schritte zur Seite und benutzte ein Funkgerät. In dieser Zeit überlegte ich, wieviel Geld mir wohl meine Redefreiheit wert sei. 100 Euro? Eine Bewährungsstrafe? 2000 Euro? Jedenfalls kam er wieder und beriet mich dahingehend, das Wort Völkermord nicht zu benutzen.

Ich fragt ihn, was denn wäre, wenn ich davon berichten würde, dass Südafrika vor dem Internationalen Strafgerichtshof Klage gegen Israel wegen Völkermords erhoben hat. Das wüssten ja bereits einige Menschen aus den Medien. Erneut legte mir der Polizist nahe, diesen Begriff nicht zu benutzen. So ergriff ich wenig später mit der Schere im Kopf das Mikrofon und redete unfrei:

„Ich habe gerade mit dem Veranstalter gesprochen und auch mit dem Einsatzleiter der Polizei und ich möchte sagen, ich kann hier nicht das sagen was ich sagen will. Ich war gerade auf der Demo für Julian Assange – vielleicht kennt ihr ihn – mit einem Schild „Freiheit“. Und damit meine ich Redefreiheit, Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit.

Leider musste ich in den letzten Jahren erkennen, dass wir das in Deutschland nicht mehr haben. Da gibt’s im Strafgesetzbuch einen Paragraphen, der neu ist und es gibt auch Demokratiegesetze und so weiter. Ich will jetzt nicht zu lange ausholen. Vielleicht berichte ich lieber von mir.

Ich schäme mich. Ich schäme mich für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei dem ich einmal angestellt war. Wenn ich im Radio Nachrichten höre, das ist für mich Geschwurbel, weil die Dinge nicht so benannt werden wie sie sind.

Ich schäme mich für die deutsche Regierung. Wenn ich dort die Bundespressekonferenz sehe, und denen werden unangenehme Fragen gestellt, z. B. dass die Niederlande keine Waffen oder Flugzeugteile nach Israel liefert aus bestimmten Gründen, die ich hier nicht sagen darf, und die Regierungsvertreter werden gefragt, dann merke ich, dass in ihnen zwei Herzen in einer Brust schlagen.

Das eine Herz ist, was ich Mensch sein nenne, und das andere Herz ist, dass sie Geld verdienen. Natürlich haben sie Angst um ihre berufliche Existenz. Und liebe Mitmenschen, ich habe auch Angst um meine berufliche Existenz. Weil ich beobachte, dass Menschen, die hier ihre Meinung noch sagen, die sich auf die Rede- und Meinungsfreiheit beziehen, dass ihnen die berufliche Existenz genommen wird. Das sind Journalisten, das sind Ärzte, das sind Richter und so weiter und so fort. Deshalb sind wir in einer ganz blöden Situation.

Ich bin zum ersten Mal hier, und ich sehe eure Fahnen hier. Ich dachte, das ist schon verboten, deshalb habe ich hier Obst mitgebracht (Ich halte vor mir die Abbildung einer angeschnittenen Melone in den Farben Palästinas). Wir kennen die Situation.

Ich schäme mich. Ich gehe jetzt ein Risiko ein, liebe Polizei: jeder weiß, dass Südafrika Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof des Völkermordes bezichtigt. Und um die Emotionen rauszunehmen… ich traue mich zu sagen: auf dieser Welt gab es über die Jahrhunderte jede Menge Völkermorde. Mir obliegt es nicht darüber zu urteilen. Ich kenne nicht das Völkerrecht. Aber dass man nicht mal darüber spricht oder vielleicht darüber nachdenkt, dass es vielleicht der Beginn eines solchen ist, ist erschreckend.

Und ich schäme mich dafür, weil ich Antifaschist bin, weil ich Antirassist bin, weil ich ein friedliebender Mensch bin, weil ich Pazifist bin und auch das ist schon ein Schimpfwort in Deutschland. Pazifismus ist ein Schimpfwort geworden in Deutschland und daher hoffe ich, dass ich hier beschützt werde von allen Menschen und ende mit meiner Rede mit den Worten:

Ich schäme mich für die Menschheit auf diesem Globus, die zusieht, von wo auch immer.“

Natürlich wollte ich nun den Preis für meine unfreie Rede wissen und ging kurz darauf zu dem jungen Einsatzleiter der Polizei. Ich sagte ihm, dass ich ja das Wort Völkermord benutzt habe und fragte ihn, ob ich mit einer Anzeige rechnen müsse. Er erwiderte, nicht doch, ich hätte ja nur gesagt, was in der Presse stünde.

Ist das nicht billig? Oder ist es einfach nur günstig? Letztendlich war ich von der Polizei wohl schlecht beraten. Also schäme ich mich weiter für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die deutsche Regierung, die Menschen auf diesem Globus und mich.

T. Niemöller

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Von Redaktion

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