
Gedanken zum Buch von Hannah Arendt: „Über die Revolution“ (Teil 7)
Einleitung – Krieg und Revolution (Seite 4-18)
Ein Zitat von Seite 16 -17 des Buches:
„… Die hier namhaft gemachten Unterschiede zwischen Krieg und Revolution – dass der Krieg sich auf die Notwendigkeit und die Revolution sich auf die Freiheit beruft, dass der Akzent des Weltgeschehens sich mehr und mehr von dem Ereignis des Krieges auf das der Revolution zu verlagern scheint – dürfen doch nicht verschleiern, dass wir es mit Phänomenen zu tun haben, die historisch in einem sehr engen Zusammenhang stehen. Das sie verbindende Glied ist die Gewalt, und diese Rolle der Gewalt darf um so weniger gering geachtet werden, als sie Krieg und Revolution gleichermaßen gerade als politische Phänomene zu disqualifizieren scheint. … Wer wollte leugnen, dass Kriege auch darum so leicht in Revolutionen umschlagen und das Revolutionen auch darum eine so verhängnisvolle Neigung zeigen, Kriege zu entfesseln, weil die Gewalt ihr gemeinsamer Nenner ist? So könnte man wohl meinen, der Erste Weltkrieg habe eine so ungeheure Gewalt entfesselt, dass Revolutionen in seinem Gefolge auch dann ausgebrochen wären, wenn es vordem noch nie eine Revolution gegeben hätte und keine mit ihr verbundene revolutionäre Tradition.
Dies soll natürlich nicht heißen, dass Kriege, von Revolutionen ganz zu schweigen, je ausschließlich von Gewalt bestimmt wären. Wo die Gewalt absolut herrscht, wie z.B. in den Konzentrationslagern der totalen Herrschaft, da schweigen nicht nur die Gesetze – … , sondern alles und alle. Um dieses Schweigens willen ist die Gewalt im politischen Bereich ein Grenzphänomen, denn der Mensch, sofern er ein politisches Wesen ist, existiert in dem Miteinandersprechen. Die beiden berühmten aristotelischen Definitionen des Menschen, dass er ein politisches und ein mit Sprache begabtes Wesen sei, ergänzen sich gegenseitig und beruhen beide gleichermaßen auf den Erfahrungen des griechischen Lebens in der Polis. Hier handelt es sich nicht einfach darum, dass die Sprache hilflos ist, wenn ihr die Gewalt gegenübertritt (es ist in der Tat wahr, dass man der »geschwätzigen Demokratie« nur den Revolver auf die Brust zu setzen braucht, um sie verstummen zu machen, nur hat man damit eben auch allem politischen Leben den Garaus gemacht), sondern vielmehr darum, dass die Gewalt selbst stumm ist, unfähig nämlich, sich im Wort wirklich adäquat zu äußern. Weil die Gewalt ihrem Wesen nach stumm ist, kann auch die politische Theorie wenig über sie aussagen, und eine Diskussion der Gewaltmittel überlässt sie besser den technischen Experten. Denn das politische Denken ist darauf angewiesen, dass die Phänomene seines Bereichs sich selbst kund tun; es bleibt dem, was von sich her in dem Bereich menschlicher Angelegenheiten erscheint und sich ausspricht, verbunden. Und diese politischen Phänomene, im Unterschied zu den reinen Naturerscheinungen, bedürfen der Sprache und der sprachlichen Artikulation, um überhaupt in Erscheinung zu treten; sie sind als politische überhaupt erst existent, wenn sie den Bereich des nur sinnfällig Sichtbaren und Hörbaren überschritten haben. Kriegs- oder Revolutionstheorien können es daher nur mit den Rechtfertigungen von Gewalt, aber nicht mit dieser selbst zu tun haben; erst in der Rechtfertigung wird die Gewalt ein eigentliches politisches Phänomen. Sollte aber eine solche Theorie, statt in der Gewalt eine ultima ratio der Politik zu sehen, eine Rechtfertigung von Gewalt überhaupt oder ihre Glorifizierung anbieten, so ist sie nicht mehr eine politische, sondern eine im Wesen antipolitische Theorie.
Die Gewalt kann nie mehr, als die Grenzen des politischen Bereichs schützen. Wo die Gewalt in die Politik eindringt, ist es um die Politik geschehen. …“
Ein Zitat von Seite 18 – 19 des Buches:
„… Das das Problem des Anfangs oder Ursprungs für das Phänomen der Revolution von ausschlaggebender Bedeutung ist, ist offenbar. Dass ein enger Zusammenhang zwischen einem solchen Anfang und der Gewalt besteht, scheint durch die Ursprungslegenden der biblischen wie der klassischen Tradition bezeugt: Kain erschlug Abel, Romulus erschlug Remus; Gewalt stand am Anfang, woraus zu folgen scheint, dass kein Anfang ohne Gewaltsamkeit möglich ist, dass jeder Neubeginn etwas vergewaltigt. Diese ersten Taten unserer Geschichte, die Legenden anheben, haben unzählige Jahrhunderte im Gedächtnis der Menschen überlebt …“.
„… Die Legende sprach es klar aus: Am Anfang aller Brüderlichkeit steht der Brudermord, am Anfang aller politischen Ordnung steht das Verbrechen. Für diese uralte, durch die Jahrhunderte getragene Überzeugung von dem Beginn aller menschlichen Angelegenheiten ist die Annahme eines Naturzustandes nur eine letzte, theoretisch gereinigte Paraphrase, und sie klingt noch deutlich nach in Marx seinem berühmten Ausspruch von der Gewalt als der mächtigen Geburtshelferin der Geschichte. …“
Kommentar:
Wir haben jetzt die Möglichkeit, Revolutionen und gesellschaftliche Neuordnungen friedlich zu regeln. Seit über hundert Jahren verfügen wir weltweit über ein gesellschaftliches Mehrprodukt. Wir produzieren von allem wesentlich mehr, als wir benötigen und verbrauchen. Die Hungerkatastrophen, Unterernährung und Hungertod beruhen auf künstlich geschaffenem Mangel. Für die Gewalt bei der angestrebten politischen Veränderung gilt das ultima ratio Prinzip: die Gewalt zur Abwehr eines gegnerischen gewaltsamen Angriffs, z.B. eines Putsches, als letztes Mittel.
Hans-Peter Beneke