
[Der Aufstand 20/25, Seite 10]
Gedanken zum Buch von Hannah Arendt: „Über die Revolution“ (Teil 6)
Einleitung – Krieg und Revolution (Seite 4-18)
Ein dritter Punkt betrifft die radikale Veränderung im Wesen des Krieges selbst, die sich daraus ergibt, dass das Prinzip der Abschreckung maßgeblich für das Wettrüsten geworden ist. Denn es ist in der Tat richtig, dass die Abschreckungsstrategie „darauf abzielt, den Krieg, den sie vorgibt vorzubereiten, eher zu vermeiden als zu gewinnen. Sie neigt dazu, ihre Ziele eher durch eine Drohung zu erreichen, die nie in die Tat umgesetzt wird, als durch die Tat selbst,“ SO ZITIERT DIE Autorin Raymond Aron.Für die Einsicht in diese Konsequenz wird ein höherer Offizier der amerikanischen Luftwaffe zitiert: jeder der großen Anzahl von Soldaten im aktiven Dienst kann seine eigentliche Aufgabe nur erfüllen, wenn er niemals das tut, wozu man ihn ausgebildet hat.Heute nämlich ist die Vermeidung des Krieges nicht nur das ehrliche oder lügenhafte Ziel einer gesamtpolitischen Konzeption, sondern das maßgebliche Prinzip der militärischen Veranstaltungen und Vorbereitungen selbst. Das Militär bereitet sich nicht mehr auf einen Krieg vor, von dem eine staatsmännisch geleitete Regierung hofft, dass er nie ausbrechen wird: Ihr eigentliches Ziel ist vielmehr die Entwicklung von Waffen, die den Krieg unmöglich machen sollen.
Es steht ferner ganz im Einklang mit diesen gleichsam paradoxen Kriegsvorbereitungen, dass sich am Horizont internationaler Politik eine ernsthafte Möglichkeit abzeichnet, „heiße“ Kriege durch „kalte“ Kriege zu ersetzen. Natürlich handelt es sich bei dem Wettrüsten der großen Mächte im wesentlichen vor allem um die Erfindung neuer technischer „Verbesserungen“ des Waffenarsenals, während nur die Herstellung von Atombomben in Ländern, die nicht oder noch nicht zu den Großmächten zählen, primär politisch motiviert ist.
In dem Rüstungswettrennen der Großmächte wird eine ausgesprochen politische Tendenz gesehen: Hierfür spricht, dass die alte Politik der Geheimhaltung sich in den letzten Jahren wesentlich geändert hat.“Indem wir unsere militärische Stärke konkret darlegen, können wir nach Ansicht unserer Politiker dazu beitragen, einen möglichen Gegner von einem unüberlegten Angriff zurückzuhalten. Es handelt sich um einen neuen Sicherheitsbegriff … Sicherheit und Geheimhaltung pflegten synonyme Begriffe zu sein, während heute die Sicherheit in Formen offener Kommunikation gesucht wird“ zitiert sie Daniel Lang. Es ist, als ob das atomare Wettrüsten in eine Art hypothetischer Kriegsführung führt, in der die Gegner einander das Zerstörungspotential ihrer Waffen vorführen.
Es bleibt schließlich noch die Tatsache, dass die innere Beziehung von Krieg und Revolution, ihre gegenseitige Abhängigkeit und die Wechselwirkung zwischen ihnen, ständig gewachsen ist und das der Schwerpunkt in diesem Verhältnis sich mehr und mehr vom Kriege auf die Revolution verlagert hat. So scheint es mehr als wahrscheinlich, dass Revolutionen im Gegensatz zu Kriegen nicht so bald von der Bildfläche des politischen Geschehens verschwinden werden. Sollte sich diese Voraussage bewahrheiten, so würde daraus folgen, dass in dem gegenwärtigen Konflikt diejenigen schließlich die Oberhand behalten werden, die verstehen, was eine Revolution ist, was sie vermag und was sie nicht vermag, während alle, die auf die Karte der reinen Machtpolitik setzen und daher auf die Fortexistenz des Krieges als der ultima ratio aller Außenpolitik bestehen, in einer nicht zu entfernten Zukunft entdecken dürften, dass ihr Handwerk veraltet ist und das mit ihrer Meisterschaft keiner mehr etwas rechtes anzufangen weiß.
Wir haben in unseren Tagen gesehen, dass die Russische Regierung im Krieg gegen die Ukraine Waffen wie die nicht nukleare Rakete „Oreschnik“, neben anderen neuartigen Raketen willig zeigte und einsetzte, um zu zeigen, dass es sinnlos ist, sie ernsthaft anzugreifen. Zum Verhältnis von Krieg und Revolution erleben wir gerade, das „der Westen“ auf hemmungslose Gewalt im Inneren und Äußeren setzt und eskaliert, und damit auf längere Sicht sich gegenüber der eigenen Bevölkerung delegitimiert. Also den Boden für eine Revolution selbst bereitet.
Hans-Peter Beneke