Kommentare zu: “Ayn Rand – die amerikanische Ideologie ohne Maske”-Teil 4
Ayn Rand – die amerikanische Ideologie ohne Maske
von: Wu Bu
Teil 4: (1.Teil Ausgabe 27/23, 2. Teil in 29/23 und 3.Teil in 30/23)
Wie viele Menschen müssen noch in der Geschichte in ihrer geistigen und körperlichen Entwicklung gehemmt werden durch die Beschränkungen des Kapitalismus, damit den Objektivisten die Erkenntnis offensichtlich genug wird, um anzuerkennen, dass dieser eben nicht den Geist befreit? Auf dem »freien Markt« ist man nämlich nur dann frei, wenn man Kapital besitzt. Ein Arbeiter kann noch so gute Qualitäten mitbringen, diese sind völlig irrelevant, solange sie sich nicht für den Profit des Unternehmers verwerten lassen. So wie ein Bauer einen Ochsen auf dem Markt nach seiner Belastbarkeit bemisst, so wird auch ein Mensch auf dem Markt bloß nach seinen verwertbaren Qualitäten bemessen. Ein Ochse, der nicht mehr genug schleppen kann, landet im Schlachthaus; der Mensch, der nicht rentabel genug arbeitet, landet auf der Straße. Erfindungen, die eben »freien Geistern« entspringen, werden im Kapitalismus nicht automatisch wertgeschätzt. Oftmals landen diese jahrelang in der Schublade, weil sie nicht der Profitmaximierung dienlich sind. Peikoff versucht auch gegen die sozialistische Planwirtschaft zu argumentieren:
Wenn, zum Beispiel, die Planer, die eine sozialistische Wirtschaft führen, verantwortliche Individuen sind, werden sie die Bedingungen für die legitime Nutzung des öffentlichen Eigentums setzen müssen; das setzt voraus, dass sie die zugelassenen Wehe des Denkens und Handelns der Menschen definieren. Sie müssen die wissenschaftlichen Theorien, die Laboruntersuchungen wert sind, die Erfindungen, die ökonomische Investitionen wert sind, die Kunst, die s wert ist, öffentlich finanziert zu werden, die Menschen, die der Anstellung und Beförderung wert sind auf jedem Gebiet vom Gruben graben bis hin zur Hochschulbildung, der Dissens, der wert ist auf den (öffentlichen) Straßen gesendet zu werden, in den (öffentlichen) Tagungsorten, und in der (öffentlichen) Presse. […] Wenn die Planer unverantwortliche Menschen sind, wie auch immer, ist Unabhängigkeit der Bürger gleichermaßen unmöglich, solche Menschen werden alles oder nichts verlangen und dann den Aufbau in der nächsten Stunde oder dem nächsten Monat ändern. Sie werden in der Weise handeln, wie es ihren momentanen Launen entspricht, welche dann zum Grundgesetz des bürgerlichen Lebens werden. […] Egal wie, die Planer bekommen der Sache nach totalitäre Diktatoren. Den Menschen, deren Leben geplant werden, ist Unabhängigkeit kein lebenserhaltender Wert. Sie ist eine Bedrohung, wenn auf die Seele begrenzt, und in Aktion, ein Verbrechen. (78)
Peikoff schaltet völlig den Aspekt der Demokratie aus. In der Tat existiert gar kein Konzept für Demokratie in der ganzen objektivistischen Theorie. Entsprechend geht Peikoff offenbar davon aus, dass Wirtschaftsplaner über dem Volk stehende »Diktatoren« sein müssten, die von diesem in keinster Weise kontrolliert werden. Es ist auffällig, dass Peikoff nicht versucht, auf wirtschaftlicher Basis gegen den Sozialismus zu argumentieren, sondern versucht ihm »Unterdrückung der Freiheit« zu unterstellen. Selbst wenn die Wirtschaftsplaner wirklich »Diktatoren« wären, die für das Volk handeln würden, so würden sie dennoch die Freiheit vor materieller Armut erreichen. Das ist die höchste Freiheit, die es gibt. Peikoffs Freiheit ist eine rein abstrakte, die nicht zu greifen ist. Die Freiheit vor materieller Armut kann natürlich nur auf der Beseitigung der Freiheit des Kapitalisten zum Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhen. Freiheit kann nie als Absolutes existieren. Freiheit bildet mit Beschränkung genauso ein dialektisches Spannungsfeld, wie Egoismus und Altruismus.
Peikoff schreibt weiter: »Individualismus und Unabhängigkeit gehen miteinander auf und ab. Jede andere Politik repräsentiert das Gegenteil dieses Werts der Unabhängigkeit; sie repräsentiert eine Form der Sklaverei.« (79)Das schreibt ausgerechnet derjenige, der die Lohnsklaverei unterstützt! Welch eine Ironie.
Peikoff beschreibt, was ein Kapitalist mit seinem Vermögen so alles (theoretisch) anfangen kann:
Im kapitalistischen System kann ein Produzent mit seinem Vermögen tun, was er möchte. Er kann es investieren, es ausgeben für sich selbst und seine Lieben oder es weggeben. Er kann eine angemessene Summe ausgeben, um Unglücklichen zu helfen, die sich selbst nicht helfen können (das ist Moral, wenn die Hilfe mit einer angemessenen Hierarchie der Werte einhergeht). Er kann sich selbst ausbluten durch Selbstaufopferung. Er kann sein Vermögen jedem Erben vermachen, den er auswählt, verdient oder nicht. Unter dem Kapitalismus, wie auch immer, kann der Mensch, der sich selbst ausblutet, keine Transfusion durch den Staat bekommen; während sich das Marktsystem gegen jeden unverdienten Empfänger wendet.(80)
An diesen Ausführungen ist prinzipiell nichts auszusetzen. Es wird hier aber über rein theoretische Möglichkeiten gesprochen, nicht darüber, wie wahrscheinlich diese Optionen sind. Aus der Logik der Profitmaximierung heraus, diesem kapitalistischen Wirtschaftsgrundsatz, dem die Bourgeoisie folgt, bleiben nur Investition und Ausgaben für sich selbst und die Angehörigen als Optionen bestehen. Selbst »gemeinnützige« Stiftungen wie zum Beispiel die Bill and Melinda Gates Foundation sind nicht wirklich gemeinnützig, sondern dienen auch wiederum dem Profit, indem in Projekte investiert wird, die bei genauerer Betrachtung alles andere als selbstlose Hilfe darstellen.
Peikoff schreibt dem Kapitalismus einige Attribute zu:
1. »Der Kapitalismus ist das System der Produktivität.«(81)
2. »Der Kapitalismus belohnt die Verfolgung des rationalen Selbstinteresses.« (82)
3. »Der Kapitalismus zählt auf das Profitmotiv.« (83)
Der erste Punkt trifft im Vergleich zum Feudalismus zu, aber nicht im Vergleich zum Sozialismus. Punkt zwei und drei sind richtig, wobei Punkt zwei für die Bourgeoisie zutrifft und nicht für die Arbeiterklasse. Der Kapitalismus sorgt nicht für das Allgemeinwohl. Sozialdemokraten wollen einem dies weismachen. Peikoff schreibt aber ehrlicherweise: »Die moralische Rechtfertigung des Kapitalismus ist nicht, dass er der Öffentlichkeit dienen würde.«(84) Das ist wenigstens ehrlich.
Peikoff stellt klar: »Wir Objektivisten sind keine Sozialisten.«(85)Danke, Herr Peikoff, ich hätte Sie sonst für einen sozialistischen Revolutionär gehalten. Vielen Dank für diese Klarstellung! Im Ernst: Dieser Satz ist komplett unnötig. Niemand käme auf die Idee, einen Kapitalismusapologeten als Sozialisten ansehen zu wollen.
Dass Peikoff sich ideologisch auf einer Linie mit den Chicago Boys outet, ist zwar reaktionär, aber wenigstens nicht lächerlich. Lächerlich ist der Versuch, den Kapitalismus »philosophisch« begründen zu wollen.
Peikoff schreibt: »Der Kapitalismus implementiert den richtigen Kodex der Moral, weil er auf der richtigen Anschauung der Metaphysik und Epistemologie basiert.« (86) Sehen wir hier einmal davon ab, dass Peikoff hier im Kern bloß vom Objektivismus spricht, denn das dürfte jedem, der des Lesens mächtig ist, ins Auge fallen. Konzentrieren wir uns eher auf die falsche Sicht auf den Kapitalismus als eine Ideologie. Der Kapitalismus entsteht, indem Privateigentum an den Produktionsmitteln, Marktkonkurrenz und Lohnarbeit zusammenkommen; derKapitalismus ist gar keine Ideologie, sondern ein sozioökonomisches System. (87) Es gibt kapitalistische Ideologien, wofür der Objektivismus das offenkundigste Beispiel ist, aber es gibt nicht DIE kapitalistische Ideologie. Natürlich haben alle dieselben sozioökonomischen Grundlagen, aber die philosophischen Grundlagen teilen sie eben nicht. Es ist nämlich nebensächlich, ob die philosophische Begründung der Politik in irgendeiner Weise Sinn ergibt, ihr Klassencharakter wird in erster Linie durch die realen wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen begründet und nicht durch Philosophie.
Ähnlich muss man auch über den Sozialismus sagen, dass er keine Ideologie, sondern ein sozioökonomisches System ist. Der Marxismus ist die eine wissenschaftliche sozialistische Ideologie. Das heißt aber nicht, dass sozialistische Ideologie per se marxistisch wäre. Wäre dem so, dann wäre eine Volksfront der kleinbürgerlich-sozialistischen Parteien unter Führung der kommunistischen Partei unmöglich, weil es sie gar nicht geben könnte. Der christliche Sozialismus (ich meine ihn im ehrlichen Sinne und nicht als ein Wahlviehfängertrick, als der er in der Geschichte des öfteren verwendet wurde) mag durchaus sich durchaus auf die Bergpredigt berufen und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel damit begründen, dass die Frühchristen auch kein Privateigentum kannten und sich das Eigentum in einer Gütergemeinschaft teilten. (88) Das mag wirtschaftspolitisch sozialistisch sein. Auch wenn die christlichen Sozialisten darauf hinweisen, dass die Fischer und Handwerker von damals, unter denen Jesus auftrat, heutzutage Arbeiter und kleinbürgerliche Werktätige seien, könnte man dies durchaus als sozialistische Politik bezeichnen. Dennoch wird man den christlichen Sozialisten nicht zuerkennen, dass sie wissenschaftliche Sozialisten wären, weil sie aufgrund der Bibel zu ihren Schlussfolgerungen gekommen sind und nicht aus der wissenschaftlichen Erkenntnis der Geschichte und Welt heraus, die zur Überzeugung von der Notwendigkeit des Sozialismus führte. Nun zurück zu Peikoff.
Peikoff behauptet, dass der »wirtschaftliche Wert« real existiere, weil dieser auf dem Schwanken von Angebot und Nachfrage basiere. (89) Offensichtlich denkt er dabei an Adam Smiths Theorie. Smiths Theorie beschreibt richtig den Preismechanismus des Marktes. Was sie aber nicht beschreibt, ist, woher der Wert kommt. Preise, die um einen Mittelwert schwanken, können nicht auf der Tatsache des Schwankens basieren. Peikoff lässt, in Randscher Manier, die Arbeitswerttheorie außen vor. Das hat aber auch ideologische Gründe: Würden Ayn Rand und Leonard Peikoff anerkennen, dass der ökonomische Wert auf der Arbeitszeit basiert und der Unternehmerprofit von abgeschöpften Mehrwert, also, vereinfacht ausgedrückt, unbezahlter Arbeitszeit basiert, würde ihr ganzes ideologisches Konstrukt in der Hinsicht der »Rationalität« kollabieren. Dann müssten sie anerkennen, dass der Arbeiter im Kapitalismus nicht frei ist, was eben die absolute Mehrheit der Menschen betrifft.
Peikoff behauptet: »Der freie Markt ist der größte aller Lehrer.« (90) Darauf folgt die weitere Behauptung, dass der Markt eine Anhebung der Bildung verursachen würde. Es ist bezeichnend, dass nicht einmal die USA, trotz ihres seit Jahrhunderten vorherrschenden Wirtschaftsliberalismus, öffentliche Schulen betreibt. Es ist nämlich nicht so, dass der Markt Menschen lehrt, sondern andere Menschen (und die praktischen Erfahrungen des Lebens natürlich). Wenn sich das eine Reihe von Leuten nicht leisten kann, dann bleiben sie ohne formale Bildung. Da sich Peikoff gegen öffentliche Schulen aussprach, würde er letztendlich die Gesellschaft auf das Niveau eines afrikanischen Landes herabsetzen: Eine reiche Elite kann sich Bildung leisten, die verarmte Mehrheit der Bevölkerung nicht. Es ist selbst mit öffentlichem Schulsystem so, dass Schüler aus ärmeren Familien, die ihnen nicht so viel Unterstützung zukommen lassen können, es viel schwieriger haben, einen guten Abschluss zu erhalten. Studien in Deutschland belegen immer wieder: Die Herkunftsfamilie bestimmt maßgeblich über den Schulabschluss. (91) Und das ist nur die formale Seite der Bildung. Der Zugang zu Fachbüchern ist sehr teuer, weshalb sich im Internet Schattenbibliotheken herausgebildet haben, die digitalisierte Fachbücher kostenlos zum Download anbieten. Einer der Gründe dafür ist, dass sich viele Menschen diese Bücher nicht leisten können, aber auf diese angewiesen sind für Recherchen. Peikoff kommt auch auf die Opposition gegen den Kapitalismus zu sprechen. Er schreibt:
Die Opposition gegen den Kapitalismus beinhaltet oft ein Element der Auslassung. Aber oft tut es das nicht; die Gegner sind ehrlich; die sind, muss man sagen, ehrlich blöd – und es ist eine selbstgemachte, epistemologisch induzierte Blödheit. Intellektuelle dieser Art sind Tatsachen gegenüber taub (aber leider niemals dumm); sie kommen zu politischen Schlussfolgerungen mit den selben Mitteln, wie sie den Kapitalisten es im Bezug auf die Preise vorwerfen; sie tun es der Laune nach. (92)
Letzterer Teil macht klar, dass er sich nicht auf marxistische Kritiker bezieht. Diese würden niemals in der kapitalistischen Preispolitik bloße Willkür sehen, sondern den Preisbildungsprozess analysieren. Nun zu den Vorwürfen: Peikoff wirft seinem Gegenüber Dinge vor, die er selbst nicht einzuhalten vermag. Das Außenvorlassen der Arbeitswerttheorie ist das augenscheinlichste Beispiel dafür, dass das ignoriert wird, was der Randschen Weltanschauung widersprechen könnte. Wäre die Arbeitswerttheorie falsch – wieso sollte man sie dann nicht widerlegen? Peikoff steckt den Kopf in den Sand und versucht somit sich aus der Affäre zu ziehen. Das kann nur innerhalb seines Buches selbst funktionieren und, wenn es von einer ungebildeten Leserschaft, am besten kritikunfähige Ayn-Rand-Jünger, gelesen wird. Vor einer Audienz, die rational und objektiv (wie es der Objektivismus doch selbst in Worten fordert) herangeht, haben die Werke des Objektivismus in der Geschichte keinen Bestand gehabt und haben keinen Bestand. Weiter behauptet Peikoff, dass der Marxismus am Kapitalismus nur Dinge kritisieren würde, die vom Statismus kommen würden. (93) Dabei handelt es sich dabei wieder einmal um einen unbelegten Strohmann. Entsprechend ist die Behauptung, dass die Intellektuellen »nie den Wert (virtue) des Kapitalismus« verstanden hätten94 ein lächerlicher Strohmann – er wirft dem Gegenüber vor, dass es »taube Ohren« besäße und kommt dann nicht mit realen Argumenten, sondern mit Moralbegriffen. Er selbst ist aber der »Dumme«, aber dabei keineswegs ehrlich. Der einzige Beweis, dass er zumindest ein paar antikapitalistische Demonstrationsbanner gesehen hat, ist, dass er offenbar deren Slogans aufgeschrieben hat.(95) Damit erfolgt aber keine ernsthafte Auseinandersetzung in der Tiefe.
Peikoff proklamiert zum Schluss seine Dreieinigkeit des Kapitalismus: »Der Kapitalismus ist ist praktisch. Der Kapitalismus ist moralisch. Der Kapitalismus ist ist wahr.« (96) Im Namen des Kapitals, des Marktes und der Lohnarbeit. Amen.
Peikoff schließt damit, dass die nächste amerikanische Revolution das Potenzial dazu hätte, dauerhaft zu sein. (97) Das wird sie auch haben, wenn sie denn jemals kommen sollte, aber es ist nicht die Art von Revolution, die sich Ayn Rand und Leonard Peikoff je gewünscht haben: Eine sozialistische Revolution in Amerika.
Das Kapitel »Kunst« erspare ich hier zu analysieren. Dieses hat keine Relevanz für die hier abgehandelte Thematik, es sei denn, man wolle in 68er-Manier Ästhetik mit Politik verwechseln. Nun zu den realpolitischen Auswirkungen von Ayn Rands Ideologie.
Die Anhänger von Ayn Rand warfen den Libertären vor, dass diese ihre Anschauungen plagiiert hätten.(98) Tatsächlich gab es aber die Libertären bereits vor Ayn Rand. Sie ist lediglich unter ihnen beliebt geworden, weil sie ihre Anschauungen am klarsten auf den Punkt brachte. Das macht diese Anschauungen aber nicht korrekter. Adam Smith zum Beispiel vertrat mit seiner »unsichtbaren Hand des Marktes« bereits wirtschaftsliberale Ideen, hatte dabei aber das Gemeinwohl im Kopf.
Adam Smiths Denke, dass die Bourgeoisie dem Allgemeinwohl nutzen würde, ohne es bewusst mitzubekommen, ist natürlich eine naive Idee. (99) Man muss aber Adam Smith in seinem historischen Kontext sehen: Ein bürgerlicher Ökonom in einem feudalen Europa. Natürlich ging es den kleinen Warenproduzenten ohne das Feudalsystem besser und die wirtschaftliche Entwicklung nutzte gewissermaßen dem Allgemeinwohl (wobei auch damals, logischerweise, aufgrund der Konkurrenz zunehmend der Ruin auf der einen, die Monopolisierung auf der anderen Seite begann). Ayn Rand hingegen vertrat solche Ideen noch viel vehementer als ihre Urheber. Das Forbes-Magazin warf ihr deshalb auch vor, dass sie in ihren Schriften, im Gegensatz zu Smith, der Frage aus dem Weg gegangen ist, ob es den Menschen unter dem Kapitalismus tatsächlich besser ergehen würde. (100) Wenn eine bürgerliche Zeitschrift so urteilt, dann ist an ihrer Ideologie wirklich nichts wirklich Verwertbares dran.
Ayn Rand wird von manchen als »heuchlerisch« bezeichnet, dass sie die Sowjetunion und den Sozialismus harsch attackierte wegen seinem »totalitären Kollektivismus«, aber die Augen verschloss vor dem »unternehmerischen totalitären Kollektivismus« der Großkonzerne der USA. (101)Auch wenn Totalitarismus ein stumpfer Begriff ist, so hat die Sache dennoch einen wahren Kern: Ayn Rand ist in ihrer Kritik nicht einmal anarchistisch »gegen alles« gewesen, sondern war auf dem rechten Auge blind. Das weist darauf hin, dass ihre Ideologie bloß der Rechtfertigung des Kapitalismus galt, ohne Rücksicht auf dessen augenscheinlichste reale Merkmale. Der Kollektivismus, der von den Objektivisten kritisiert wird, ist eine Karikatur. Peikoff beschreibt ihn wie folgt:
Kollektivismus ist eine Anwendung der Politik auf die Ethik des Altruismus. Da der Mensch nur existiert, um anderen Menschen zu dienen, behauptet man, individuelle Rechte seien ein Mythos; die Gruppe ist die Einheit des Wertes und der Gebärer der Souveränität.(102)
In Peikoffs Sichtweise bedeutet Kollektivismus, dass Menschen wie Kartoffeln für ein Kartoffelpüree, zusammengemischt werden würden. Er ist nicht dazu in der Lage die Dialektik zwischen Individuum und Kollektiv zu erfassen. Ein jedes Kollektiv besteht aus Individuen; ein jedes Individuum ist Mitglied eines oder mehrerer Kollektive. Die Familie ist das grundlegende Kollektiv, in das man hineingeboren wird und sich nicht aussuchen kann. Was erwartet man aber von einer Ideologie, die nicht einmal in der Lage ist, in ihren Werken ein funktionierendes Familienleben zu beschreiben? Wie könnte so eine Ideologie dann erfolgreich die Gesellschaft beschreiben? Letztendlich ist diese Sicht auf den Kollektivismus genauso platt wie die Charaktertiefe von Ayn Rands Protagonisten. Apropos Ayn Rands Protagonisten.
Ayn Rand ließ John Galt die Kapitalisten zum Streik aufrufen. Er rief letztendlich zu seinen Klassenangehörigen. Wie soll das ohne ein kollektivistisches Klassenbewusstsein möglich sein? Sie bediente sich letztendlich dabei einem Motiv, das der Arbeiterbewegung entliehen (aufgrund ihres bürgerlichen Hintergrunds müsste man eher sagen: gestohlen) worden ist, nämlich des Streiks der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie, um ihre wirtschaftlichen Klasseninteressen durchzusetzen. Die Arbeiterklasse kann dabei nicht viel verlieren, außer ihrem Lohn (weshalb es die Streikkassen gibt), die Bourgeoisie verliert aber den Mehrwert, den Profit der geleisteten Arbeit. Ayn Rands »Kapitalistenstreik« besitzt so viel Sinn, als würde ein Bankräuber die Herausgabe des Geldes damit erzwingen wollen, indem er droht, solange die Luft anzuhalten, bis er erstickt wäre.
Genauso ineffektiv wie im Buch, so sind auch die realwirtschaftlichen Umsetzung von Ayn Rands Ideen. Die amerikanische Kaufhauskette Sears hatte 2008 in Anlehnung an Ayn Rand das Unternehmen in 30 Kleinabteilungen aufgespalten, mit jeweils eigenem Management und eigener Verlust- und Gewinnrechnung. Dadurch sollten diese miteinander konkurrieren und, in der Theorie, mehr Profiterzeugen. Die Manager wurden zu egoistischem Handeln angehalten. Die Folge war, dass diese Abteilungen sich gegenseitig sabotierten, um mehr Boni abzustauben, Produkte von Fremdfirmen mehr beworben haben, als die eigenen und aufgehört haben, Rabattaktionen und andere Angebote zu machen, um mehr Käufer in die Läden zu bekommen. (103) Kurzum: Die einzelnen Abteilungen waren finanziellhandlungsunfähig für größere Aktionen und sabotierten sich gegenseitig, um vom kleineren Kuchen ein größeres Stück abzubekommen. Die kleinen Franchisenehmer von Subway erleben in Städten ein ähnliches Schicksal, wobei diese formell unabhängige Kleinunternehmer auf dem Papier sind. Dies sind nur zwei Beispiele, aber die kapitalistische Welt ist voll mit ihnen. Das liegt an der Monopolisierungstendenz des Kapitals auf Grundlage der Konkurrenz. Die größeren Firmen konkurrieren die kleineren in den Ruin und übernehmen deren Stellung im Markt. Sears hat letztendlich durch die Atomisierung des eigenen Konzerns in Kleinabteilungen dafür gesorgt, dass der Konzern an sich nur noch wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation agierte, aber auf wirtschaftlichem Gebiet: Schwach gegenüber äußeren Gegnern aufgrund der Zersplitterung, innerlich befehdet durch den Kampf um die Vormacht. Und da will Ayn Rand behaupten, dass Großunternehmer die »verfolgte Minderheit Amerikas» (104) seien? Es sind die Kleinunternehmer, die von den Großunternehmen zur Strecke gebracht werden.
Ayn Rands Ideologie konnte auch in der Politik keine praktischen Erfolge vorweisen. Alan Greenspan, der 1987 bis 2006 Vorsitzende der Federal Reserve war, geriet im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 unter Druck und war zumindest dazu gedrängt worden, teilweise Ayn Rand zu widerrufen. Vor dem US-Kongress antwortete Greenspan 2008, als er gefragt wurde »Haben Sie sich geirrt?«, dies:
Teilweise … Ich habe einen Fehler begangen in der Annahme, dass das Selbstinteresse von Organisationen, besonders Banken, so sei, dass diese am besten in der Lage wären, Aktieneigentümer und Eigenkapital in den Firmen zu schützen… Ich habe einen Fehler im Modell entdeckt, den ich als die kritische Funktionsstruktur wahrnahm, der bestimmt, wie die Welt funktioniert. Ich bin 40 Jahre lang mit beträchtlicher Evidenz herangegangen, dass dies außergewöhnlich gut funktionieren würde.(105)
Schon ein paar Jahre zuvor soll Greenspan gesagt haben: »Es gibt zu viel Gespiele des Systems, bis es bankrott ist. Der Kapitalismus funktioniert nicht! Es hat ein Verderben des Systems des Kapitalismus gegeben.« (106) Dass diese Aussage nicht nachhaltig war, zeigt sein 2018 verfasstes Jubelbuch über den amerikanischen Kapitalismus. Dennoch, es war einige Jahre im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise. Man kann ersehen, dass Greenspan in einer Krisenlage zur Selbstkritik genötigt worden ist, auch wenn er diese nicht aus ganzem Herzen äußerte.
Wie man dadurch ersehen kann, ist eine Ideologie im Bezug zur Wirtschaftspolitik wertlos, wenn sie nicht wissenschaftlich fundiert ist. Alan Greenspan war 1966 mit am Buch Capitalism: The unknown Ideal von Ayn Rand beteiligt, welches eine bloße Essaysammlung ist, die den Kapitalismus im Sinne des Objektivismus schönredet, aber keine Versuche unternimmt, aufgestellte Thesen tatsächlich zu beweisen. Greenspan ist ein Beispiel dafür, dass der Objektivismus mit dem Begriff »Subjektivismus« besser bedient gewesen wäre.
Der CNBC-Redakteur Rick Santenelli, ein ausgesprochener Fan von Ayn Rand, schlug einmal als Maßnahme gegen Kapitalismuskritiker vor: »Vielleicht sollten wir die Wallstreet 24 Stunden dicht machen, um zu sehen, wie jeder die Wallstreet dafür beschuldigen wird. Vielleicht sollten wir die Energieversorgung für 24 Stunden abschalten, um zu sehen, wie das den Menschen gefällt.«(107) Santenelli wirft zweierlei Dinge durcheinander. Zum einen eine Börse, zum anderen die Realwirtschaft. Die Wallstreet, die übrigens über das Wochenende geschlossen hat, wie andernorts auf der Welt auch (womit das »24 Stunden dicht machen«-Argument null und nichtig ist) ist ein Umschlagplatz für Wertpapiere. Was dort passiert hat nur mittelbare Auswirkungen auf die reale Wirtschaft. Diese Auswirkungen werden nur dann direkt, wenn eine Schuldenblase platzt. Ein Elektrizitätswerk wird von Arbeitern betrieben, einem Kapitalisten gehört es bloß. Ob dieses funktioniert oder nicht, hängt primär von der Belegschaft ab, nicht vom kapitalistischen Eigentümer. Der Fall ist wahrscheinlicher, dass das Kraftwerk aufgrund
eines Streiks abgeschaltet wird, als aufgrund einer Anordnung der Chefetage, allein schon aus dem Grund, dass der Unternehmer in der Zeit der Abschaltung keinen Profit macht. Die Anhänger von Ayn Rand wissen genauso wenig, wie die Realwirtschaft funktioniert, wie Ayn Rand selbst.
Man kann daran ersehen, wieso Ayn Rand stets lediglich den Anspruch hegte, Philosophin zu sein: Sie hatte von Wirtschaftspolitik keine Ahnung, geschweige denn eine formelle Qualifikation im Wirtschaftsbereich. Auf Ayn Rand trifft deshalb sehr passend zu, was Louis Althusser einmal sagte: »Philosophen sind Wichtigtuer. Es sind Intellektuelle ohne Praxis.«(108)Karl Marx und Friedrich Engels hatten Erfahrung als Revolutionäre der 1848er-Revolution und werteten die Praxis der Pariser Kommune sorgfältig aus, Lenin und Stalin waren die praktischen Erfahrungen der Oktoberrevolution und des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion zu eigen, Mao Tsetung war die Erfahrung der chinesischen Revolution und des sozialistischen Aufbaus in China zu eigen, und Walter Ulbricht war die Erfahrung des Kampfes um den Sozialismus und dessen Aufbau in der DDR zu eigen. Ayn Rand hingegen hatte keinerlei Praxis zu bieten, nur ein Oeuvre aus sechstklassiger Fiktion. Das ist zu wenig, um reale Beachtung zu finden.
Nicholas McGinnes vom Rotman-Institut für Philosophie an der Western University in London (Ontario) stellt zurecht die Frage, wieso man überhaupt akzeptieren sollte, von Ayn Rands Axiomen auszugehen. (109) Es gibt letztendlich nichts, was Ayn Rand Thesen beweisen würde. Scotty Hendricks schreibt für BigThink:
Ayn Rands Grundproblem ist, dass ihre Argumente nicht gut sind. Sie unterstützen oftmals nicht die Schlussfolgerungen, die sie gerne hätte, oder sie erreichen Schlussfolgerungen, die inkohärent erscheinen. Gut begründete Argumente sind der kritische Unterschied zwischen einer Person, die ihre Meinung äußert und einem Philosophen, und sie ist oft daran gescheitert, sie zu liefern. (110)
Damit fällt Ayn Rand unter das Prinzip: Was ohne Grund behauptet wird, kann auch ohne Grund verworfen werden.
Der amerikanische Medienkonzern CBS vertritt die Meinung, dass man den Objektivismus »in die selbe intellektuelle Mülltonne« werfen solle, in die auch der Marxismus und die absolute Monarchie geworfen worden seien. (111) Man lehnt bei CBS den Laissez-Faire-Kapitalismus in Worten ab, aber nicht den Kapitalismus an sich. Offensichtlich! Schließlich entspricht der Kapitalismus den Klasseninteressen der Eigentümer des CBS-Konzerns. Man kann auch hieran ersehen, dass die Ablehnung des Objektivismus als Ideologie genauso wie beim Zerriss von Ayn Rands Atlas Shrugged in Wahrheit nur halbherzig erfolgt. Es ist wie bei der Ausrede mancher BILD-Leser, die behaupten, sie würden nur den Sportteil lesen, aber lesen dennoch das ganze Schmierblatt.
Insgesamt hat der Objektivismus in der breiten Masse aber keinen Fuß gefasst. Ein Kritiker von Ayn Rand fasst die Situation folgendermaßen zusammen: »Die sogenannte Philosophie von Ayn Rand, bekannt als Objektivismus, ist ein eher abscheulicher Kult in den USA geworden. Die Europäer sind davon verwirrt, während die akademischen Philosophen sie als einfache Eröffnungen von Witzen benutzen.« (112) Dennoch sollte man den Einfluss von Ayn Rand nicht unterschätzen.
Ayn Rands ideologischer Einfluss ist größer als der Einfluss ihrer Ideologie als Gesamtes. Dieser Satz mag paradox klingen, aber ist dennoch zutreffend: Viele wissen nicht, dass sie Ideen von Ayn Rand vertreten, während der Objektivismus als eine orthodoxe Ideologie offiziell von fast niemandem vertreten wird. Ayn Rands Ideologie ist auch zu widersprüchlich, um sie ernsthaft in ein Parteistatut zu verankern.
Ayn Rand sagte einmal: »Als menschliches Wesen hast du keine Wahl über die Tatsache, dass du eine Philosophie brauchst.« (113) Zurecht! Aber wer sagt denn, dass diese Philosophie unbedingt ihre verlogene und völlig verdrehte Weltanschauung sein müsste? Eine Philosophie, die die Entwicklungsgesetze der Menschheitsgeschichte widerspiegelt und der Natur – der dialektische und historische Materialismus – das ist eine annehmbare Philosophie, die an Stelle des den Menschen eigenen naiven Materialismus treten kann. Damit kann man die Welt verstehen und die umfassende marxistische Theorie im Zusammenhang verstehen – anders als Ayn Rands Objektivismus, dessen Bestandteile zusammenhanglos wie Möhren und Erbsen auf einem Teller dargereicht werden.
Wenn Ayn Rand Einfluss ausüben kann, dann auf jene, die an ihrem bisherigen Weltbild zweifeln. Man sollte sich um sie kümmern, damit sie nicht in die Falle laufen. »Erbarmt euch derer, die zweifeln.« (114) Ich komme nun zum Schluss.
Abschließendes
Insgesamt ist Ayn Rand gewissermaßen die unmaskierte diabolische Seele des amerikanischen Kapitalismus. Selbst wenn gegen sie formell polemisiert worden ist, so war diese Kritik doch oberflächlich. Ihr extremer Atheismus sorgte zum Beispiel für Anstoß bei der sogenannten »christlichen Rechten«, die ansonsten ähnliche wirtschaftspolitische Positionen vertritt, wie Ayn Rand selbst. Es ist den meisten amerikanischen bürgerlichen Ideologen offenbar peinlich, wenn ihre Absichten so plump und offen kundgetan werden. Das hält sie nicht davon ab, ihre Ideen aber in der Praxis zu befürworten.
Es ist schwer vorstellbar, dass Ayn Rands Ideenhaufen erfolgreich nach Deutschland verpflanzt werden könnte. Der amerikanische Einfluss müsste dafür noch tiefere Furchen graben. Was man aber nicht unterschätzen darf, ist der Einfluss von Ayn Rands kapitalismusapologetischen Grundideen vor allem auf Liberale und Konservative in Deutschland, die amerikanische Großkapitalisten idealisieren. Es ist wichtig, den Klassenfeind ideologisch gut zu kennen, um ihn bestmöglich kontern zu können. Ein Arzt, der sich mit Giften nicht auskennt, kann auch kein Gegenmittel finden. Auch im Sozialismus werden wir uns solcher Anschauungen erwehren müssen.
Ayn Rands Denken ist archetypisch für den amerikanischen Neoliberalismus. Indem wir die Grundzüge dieses Denkens kennen, werden wir besser in der Lage sein, gegen den verheerenden ideologischen Einfluss aus den USA uns zu behaupten und diesen besser zu kritisieren, um ihn abzuwehren.
Verweise:
78 Ebenda, S. 382/383, Englisch. 79 Ebenda, S. 384, Englisch. 80 Ebenda, S. 386, Englisch. 81 Ebenda, S. 387, Englisch. 82 Ebenda, S. 389, Englisch. 83 Ebenda, S. 390, Englisch. 84 Ebenda, S. 392, Englisch. 85 Ebenda, S. 394, Englisch. 86 Ebenda, S. 395, Englisch. 87 Vgl. »Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR« (Februar – September 1952) In: J. W. Stalin »Werke«, Bd. 15, Verlag Roter Morgen, Dortmund 1979, S. 305. 88 Apostelgeschichte 4, 32. 89 Vgl. Leonard Peikoff »Objectivism – The Philosophy of Ayn Rand«, Meridian, New York 1993, S. 396, Englisch. 90 Ebenda, S. 398, Englisch. 91 https://www.welt.de/politik/deutschland/article244874914/Einfluss-sozialer-Herkunft-Das-desastroese-Ausmass-der-Chancenungleichheit-im-Bildungssystem.html 92 Leonard Peikoff »Objectivism – The Philosophy of Ayn Rand«, Meridian, New York 1993, S. 407, Englisch. 93 Vgl. Ebenda, S. 408, Englisch. 94 Vgl. Ebenda, S. 411, Englisch. 95 Siehe: Ebenda, S. 409 f, Englisch. 96 Ebenda, S. 412, Englisch. 97 Vgl. Ebenda. 98 https://www.latimes.com/archives/la-xpm-1985 – 11-24-me-1752-story.html (Englisch) 99 Vgl. Adam Smith »Reichtum der Nationen«, Volmedia, Paderborn o. J., 458. 100 https://www.forbes.com/2009/11/03/where-ayn-rand-went-wrong-opinions-columnists-shikha-dalmia.html (Englisch) 101 https://brucelevine.net/how-ayn-rand-seduced-young-men-and-helped-make-the-u-s-into-an-uncaring-nation/ (Englisch) 102 Leonard Peikoff »Objectivism – The Philosophy of Ayn Rand«, Meridian, New York 1993, S. 362, Englisch. 103 https://www.pbs.org/newshour/economy/column-this-is-what-happens-when-you-take-ayn-rand-seriously (Englisch) 104 https://ari.aynrand.org/issues/government-and-business/capitalism/americas-persecuted-minority-big-business/ (Englisch) 105 https://www.theguardian.com/business/2008/oct/24/economics-creditcrunch-federal-reserve-greenspan (Englisch) 106 https://www.forbes.com/2004/03/05/0305bookreview.html (Englisch) 107https://www.realclearpolitics.com/video/2016/03/14/santelli_we_are_living_atlas_shrugged_those_with_intellectual_property_are_fed_up_where_is_john_galt.html (Englisch) 108 Zit. nach: Frieder Otto Wolf »Warum Louis Althusser heute noch wichtig ist« In: Louis Althusser »Die Krise des Marxismus«, VSA Verlag, Hamburg 2022, S. 91. 109 https://www.rotman.uwo.ca/the-system-that-wasnt-there-ayn-rands-failed-philosophy-and-why-it-matters/ (Englisch) 110 https://bigthink.com/the-present/the-problem-with-ayn-rand/ (Englisch) 111 https://www.cbsnews.com/news/top-10-reasons-ayn-rand-was-dead-wrong/ (Englisch) 112 https://owlcation.com/humanities/The-Virtue-of-Stupidity-A-Critique-of-Ayn-Rand-and-Objectivism (Englisch) 113 Zit. nach: Leonard Peikoff »Objectivism – The Philosophy of Ayn Rand«, Meridian, New York 1993, S. 2, Englisch. 114 Judas 22. |
Kommentare zum obigen Artikel:
Von: J.M.Hackbath
1. (bei Verweis 78)
Wu Bu beruft sich an dieser Stelle auf den „Aspekt der Demokratie“ und bringt ihn in Verbindung mit dem was Sozialismus genannt wird, aber ökonomisch betrachtet einfach nur Staatskapitalismus ist. Die Sozialisten bestanden aber auf die Diktatur des Proletariats, eigentlich die Diktatur ihrer Partei, also die Diktatur ihrer Parteiführer (Nomenklatura). Er relativiert die Demokratie im Sozialismus dann aber auch gleich und gibt zu, das die Freiheit der Menschen im Sozialismus beschränkt ist. Er rechtfertigt an dieser Stelle die Diktatur von sozialistischen Führern in einer „Planwirtschaft“, da diese ja „für das Volk handeln würden“, natürlich ganz uneigennützig und ohne sich selbst Privilegien zuzuschanzen. Immerhin befreien diese sozialistischen Diktatoren mit ihrer „Planwirtschaft“ die Menschen von materieller Armut. Vielleicht sollte man an dieser Stelle daran erinnern, dass die verfehlte und bürokratische Politik der Stalinisten und ihre Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft, zu einer Hungerkatastrophe in der jungen Sowjetunion geführt hatte, weil sie diktatorisch und eben nicht demokratisch erfolgte.
2. (bei Verweis 79)
Seine Kritik an Peikoff, den er hier wieder einen Objektivisten nennt, aber ihn zuvor schon einen kapitalistischen Ideologen genannt hat, dass dieser die Lohnsklaverei verteidigt, ist völlig richtig, aber die Sozialisten haben die Lohnsklaverei ja nicht beendet, sondern behaupteten, dass sie den Lohnsklaven einen „gerechten Lohn“ zahlen. Damit diese Lohnsklaven nicht abhauen, wurden sie von den Sozialisten vorsichtshalber mit Minenfeldern, Stacheldraht und Mauern eingesperrt.
Die bürgerliche/kapitalistische Kritik von Peikoff und Konsorten an der so genannten Planwirtschaft der Sozialisten ist teilweise lächerlich, weil auch die Eigentümer der Produktionsmittel im Kapitalismus bürokratisch und diktatorisch planen. Auch im Kapitalismus gibt es keinen demokratischen Einfluss auf die Produktion, auch nicht auf die Produktion die von Staatsbeamten diktiert wird.
Der eigentliche Kritikpunkt an einer bürokratisch-diktatorischen Planwirtschaft, ist die totale Abwesenheit von Demokratie und diese Kritik trifft auf Kapitalismus wie Sozialismus in fast gleicher Weise zu. Aber während die Diktatur im Kapitalismus auf die jeweiligen privaten und staatlichen Bereiche begrenzt bleibt, ist sie im sozialistischen Staatskapitalismus absolut zentralisiert.
Beide Planungssysteme, das privat-kapitalistische und das staats-kapitalistische, töten die Initiative der Produzenten, welche die Produktionsmittel in ihrem Besitz haben, gewaltsam ab und gehen auf deren Bedürfnissen und Interessen höchstens sekundär ein. Würde die Verwaltungsmacht über die Produktionsmittel per Verfassung an die jeweiligen Besitzer übertragen werden, könnte eine demokratische und unbürokratische Planung der Produktion realisiert und bei jeder Gelegenheit angepasst werden, weil das Ziel der Produktion von den Produzenten auf demokratische Weise ermittelt wird und den Interessen der Produzenten und ihrer Partner in der Gesellschaft verpflichtet ist und nicht den Profitinteressen von Privateigentümern, oder einer staatlich-bürokratischen Kaste, die das Staatseigentum für ihre Interessen unter ihrer gewaltsamen Kontrolle behält.
3. (bei Verweis 80)
Peikoff nennt hier die Eigentümer „Produzenten“ und Wu Bu hat daran nichts auszusetzen. Eben wusste Wu Bu noch, das Kapitalismus auf Lohnsklaverei beruht und schon hat er es wieder vergessen. Sozialisten nehmen halt die Abschaffung der Lohnsklaverei nicht so richtig ernst.
4. (bei Verweis 87)
Bei den Ausführungen von Wu Bu über die „sozioökonomischen Systeme“ Kapitalismus und Sozialismus im Verhältnis zu entsprechend verschiedenen Ideologien, offenbart er seine verquere und verkomplizierte Sichtweise auf die gesellschaftlichen Realitäten, die er natürlich in Bezug zum Staatskapitalismus der Sozialisten aller Couleur für sich selbst und zur moralischen Rechtfertigung etwas aufhübschen muss.
Um das „sozioökonomische“ Hütchenspiel zu beenden, möchte ich daran erinnern, dass die Menschheit durch die gewaltsame Einführung des Eigentumssystems in soziale Klassen gespalten wurde. Dieses Eigentumssystem erzeugte als erstes die Klasse der Sklaven und die der Sklavenhalter.
Als die Sklaven aufstanden, retteten sich die Eigentümer der Produktionsmittel durch das Zugeständnis, aus Sklaven nur noch Leibeigene zu machen.
Als die Leibeigenen aufstanden, ergriffen die bereits freien und gebildeten Bürger mit Eigentum die Gelegenheit, sich auch das Eigentum des Adels, über den Umweg der Bodenreform und durch die Akkumulation des Kapitals anzueignen und verwandelten so die ehemaligen Leibeigenen systematisch in Lohnsklaven mit begrenzter nationaler Freizügigkeit. Als politischen Überbau erfanden sie die „Demokratie für Repräsentanten“, welche so konstruiert ist, dass sie zu jeder Zeit die Herrschaft der reichsten Eigentümer in Form einer Oligarchie sichert.
Die Oligarchie der reichsten Eigentümer rief aber auch bald den Widerstand des von diesen unterdrückten Kleinbürgertums auf den Plan, die ihrerseits politische Konzepte unter dem Sammelbegriff „Sozialismus“ erdachten, um die Lohnsklaven mit sozialen Zugeständnissen für ihre politischen Interessen, also für die Errichtung ihrer Herrschaft zu gewinnen. Das Eigentum der Großbürger wollten sie im Sozialismus immer erst einmal verstaatlichen, also unter ihre Kontrolle bringen, während sie das Eigentum der Kleinbürger bürokratisch begrenzen, um ihren Konkurrenzkampf untereinander staatlich zu regulieren.
Das Angebot des sozialistisch orientierten Kleinbürgertums an die Lohnsklaven lautet immer nur, das „Sie“ deren „soziale Probleme“ mit ihrer Kontrolle über das Staatseigentum, mittels eines „gerechten Lohns“ lösen, aber eben nicht die politische Macht an die Lohnsklaven übergeben möchten. Genau deswegen heißen diese Modelle alle „Sozialismus“, weil sie auf die sozialen Fragen der Lohnsklaven begrenzt und nicht auf die politische Befreiung der Lohnsklaven orientiert sind, denn das wäre ja eine radikale Gleichstellung der Lohnsklaven mit den durch Eigentum freieren Kleinbürger und die Herstellung einer radikalen Demokratie. Natürlich würde die politische Gleichstellung der Lohnsklaven mit den Kleinbürgern unweigerlich zur Beendigung des Privilegs der Kleinbürger auf Ausbeutung durch Eigentum führen, was ein modernes Besitzrechtssystem erfordert. Das wäre dann kein kleinbürgerlicher Staatskapitalismus/Sozialismus mehr und die soziale Klasse der Lohnsklaven hört auf zu existieren.
Indes vertrösten die marxistischen Sozialisten die Lohnsklaven immer noch auf die unrealistische Utopie eines Kommunismus, der durch ihre Diktatur ganz mysteriös erreicht werden könnte, in der es keine sozialen Klassen mehr gibt und in dem der Staatsapparat ihrer Diktatur durch Geisterhand von ganz allein abstirbt. Wer es glaubt, wir selig!
5. (bei Verweis 89)
Wu Bu scheint gar kein Kommunist zu sein und verharrt auf dem Niveau eines kleinbürgerlichen Sozialisten, weil er nicht einmal die kommunistischen Aussichten von Marx und Engels berücksichtigt, wenn er von einer „Arbeitswerttheorie“ schreibt, als ob das der Weisheit letzter Schluss wäre. Seine Sichtweise ist die eines ganz normalen Staatskapitalisten, dem gar nicht auffällt, dass er die Verhältnisse in denen Lohnsklaven existieren, eben nur staatlich zentralisiert betrachtet.
Marx und Engels vertrösteten die Lohnsklaven wenigstens noch auf eine kommunistische Utopie, deren Wegführung sie nicht beschreiben konnten, in der die Arbeit aber keinen Wert mehr hätte, also keine Ware mehr sei, ähnlich der Urgesellschaft, die sie Ur-Kommunismus nannten und in der es keine Lohnsklaven, kein Geld, keinen Staat, keine Gefängnisse usw. mehr geben würde. Das ist zwar ein sehr naives Bild von einer Gesellschaft in der es keine sozialen Klassen mehr gibt und in der die Menschen genau deswegen politisch gleichgestellt sind. Aber warum sollte eine klassenlose Gesellschaft in Anarchie zerfallen, auf eine Verfassung und deren Verfassungsorgane, also einen Staat der ihre Freiheiten schützt, verzichten? Okay diese Frage geht an alle Kommunisten, nicht an den nur Sozialisten Wu Bu.
6. (bei Verweis 89)
Natürlich kann auch die Bildung der Menschen von Wu Bu nur staatlich und bürokratisch verwaltet gedacht werden. Auch im Zusammenhang mit Bildung geht es bei ihm nur ums Geld, das die sozialen Klassenunterschiede in Bezug auf Bildung ausgleichen soll und nicht um freie Bildung in einer radikaldemokratischen Gesellschaft, mit einem modernen Besitzrechtssystem, in dem Geld, genau wie in der Urgesellschaft keine Bedeutung mehr hat, weil die sozialen Klassenunterschiede durch die Beendigung des Eigentumssystems, also dass Recht auf Ausbeutung, abgeschafft ist.
Ideologen wie Wu Bu die auf eine stalinistische Diktatur orientieren, können sich vermutlich eine Gesellschaft in der die Bildung den freien Bürgern selbst überlassen wird, vermutlich gar nicht vorstellen, weil sie glauben, dass sich die Menschen nur bilden, wenn sie mit staatlichem Zwang wie Sklaven eingesperrt und mit einem zentralisierten Lehrplan drangsaliert werden.
7. (bei Verweis 101)
Wu Bu verteidigt die Auswüchse des staatskapitalistischen Sozialismus, in dem der Einzelne sich bedingungslos den Interessen des Kollektivs unter zu ordnen hat und einem ständigen Konformitätsdruck, bis hin zur Uniformität in der Bekleidung ausgesetzt ist, damit, dass es im Kapitalismus ja ebenfalls solche kollektivistischen Auswüchse gibt. Er verweist aber darauf, dass der Kollektivismus im Staatskapitalismus, selbst den Kollektivismus großer privat geführter Konzerne in seiner Effektivität und Vollständigkeit übertrifft. Ja da hat er Recht, weil staatlich erzwungener Kollektivismus für eine Diktatur nun einmal charakteristisch ist.
Was Wu Bu hier aber vermeidet, ist die Erklärung der Bedeutung des Wortes „Kollektivismus“ und warum dieses Wort genau welchen Sinn macht. Das Wort Kollektivismus macht eben nur dann Sinn, wenn man die Interessen eines Kollektivs gegenüber den Interessen eines einzelnen Individuums des Kollektivs, unbedingten Vorrang einräumt, was die Souveränität des Individuums im Konflikt mit dem Kollektiv verneint und damit verletzt. Das bedeutet, dass der Kollektivismus die Diktatur eines Kollektivs gegenüber einzelnen Individuen zur allgemeinen Regel erhebt.
Das kennen wir natürlich zur Genüge als Begründung zur Verletzung der Souveränität aller Minderheiten auch im Völkerrecht, wenn einzelne Volksgruppen, von ihrem Recht Gebrauch machen möchten, sich zu separieren und als Separatisten bekämpft werden, weil ihnen das größere Staatskollektiv, dieses Völkerrecht auf Souveränität verweigert.
Aus diesem Grunde erzeugt Kollektivismus immer eine diktatorische Zwangsgemeinschaft, weil er den Individuen des Kollektivs im Konfliktfall die Souveränität abspricht.
Deswegen dreht sich die Radikaldemokratie genau um den Begriff Souveränität und basiert auf der Souveränität jedes Individuums und jeder Minderheit, worauf keine Zwangsgemeinschaft konstituiert werden kann, sondern nur eine Gemeinschaft von Freien, die politisch und sozial gleichgestellt sind.
8. (bei Verweis 107)
Ja manchmal schrammen Sozialisten ganz dicht an der objektiven Realität entlang und dann hofft man, dass sie weiter einsteigen, wie Wu Bu mit folgender Formulierung:
„Ein Elektrizitätswerk wird von Arbeitern betrieben, einem Kapitalisten gehört es bloß. Ob dieses funktioniert oder nicht, hängt primär von der Belegschaft ab, nicht vom kapitalistischen Eigentümer. Der Fall ist wahrscheinlicher, dass das Kraftwerk aufgrund eines Streiks abgeschaltet wird, als aufgrund einer Anordnung der Chefetage, “
An dieser Stelle könnte Wu Bu weiter getrieben werden, um den Kern des Problems, der in der Konfrontation zwischen den Eigentümern an Produktionsmitteln und den Besitzern der Produktionsmittel begründet liegt, zu begreifen. Marx und Engels hatten das prinzipiell ja bereits verstanden, als sie feststellten, das die Produktion bereits vergesellschaftet ist, es folgten nur nicht die nötigen politischen und ökonomischen Konsequenzen in ihrem Gesellschaftsmodell. Sie hatten eben noch nicht genügend praktische Erfahrungen mit ihrem noch unreifen Gesellschaftsmodell. Leider können sie ihr Modell heute nicht mehr selbst an die objektive Realität anpassen.
9. (zu „Abschließendes“)
Ja die Ideologie von Ayn Rand ist die Basis des kapitalistischen Neoliberalismus und nein, die Europäischen Kapitalisten haben keine humanere Ideologie. Wu Bu glaubt die europäischen Kapitalisten von der Ideologie des Neoliberalismus fern halten zu können. Das ist die Illusion eines ganz normalen Reformisten.
Wu Bu preist in diesem Artikel immer wieder die Vorzüge des „dialektischen und historischen Materialismus“ gegen den naiven Materialismus und allgemeinen Objektivismus an, ohne sie ganz konkret zu benennen.
ENDE DES 4. und letzten TEILS
J.M.Hackbarth