Die 10 Prinzipien der Kriegspropaganda in der Ukraine
„Die Prinzipien der Kriegspropaganda“ ist ein Buch der Historikerin Anne Morelli, das auf der Arbeit von Arthur Ponsonby über die Propaganda im Ersten Weltkrieg basiert. In dem Buch fasst Morelli die Erkenntnisse Ponsonbys zu 10 Prinzipien der Kriegspropaganda zusammen und illustriert sie mit Beispielen aus Kriegen der Neuzeit, z.B. in Vietnam, Irak oder Afghanistan. Der folgende Artikel beschreibt alle Prinzipien und veranschaulicht sie am Beispiel des Ukraine-Krieges.
1. Wir wollen keinen Krieg, wir verteidigen uns nur!
Da Bevölkerungen es in der Regel nicht gerade mögen, zur Schlachtbank geschickt zu werden und Kriege grundsätzlich negativ sehen, wird keine Regierung eines modernen Staats jemals zugeben, dass sie einen Krieg will. Sie sind stets gegen den Krieg und führen ihn nur, weil es sich um einen unvermeidlichen Notfall handelt, in dem sie keine andere Wahl haben als die Entsendung von Truppen, z. B. um sich selbst oder selbsternannte Werte wie Freiheit und Demokratie zu verteidigen oder um den Frieden mit Waffengewalt wiederherzustellen. Zumindest sagen sie das ihren Bevölkerungen, denn sie brauchen deren Zustimmung.
Und so erzählt die russische Propaganda ihren Bürgern, dass sie sich, obwohl sie Frieden wollen, gegen ukrainische Nazis verteidigen müssen, die in einem Stellvertreterkrieg von den USA geführt werden. Während die westliche Propaganda den Menschen einredet, dass sie die Ukraine um jeden Preis mit Waffen und sogar unter dem Risiko einer zunehmenden militärischen Eskalation unterstützen müssen, da dies der einzige Weg ist, den Frieden wiederherzustellen. Man fragt sich, warum es überhaupt Kriege gibt, wenn alle politischen Führer selbsternannte Pazifisten sind, die vom Willen zum Frieden beseelt sind? Ihre Handlungen, im Falle Russlands das Beginnen des Krieges und im Falle des Westens z.B. die Ausweitung des Militärbündnisses NATO nach Osten, entlarven sie als Lügner, also sollte man gar nicht auf derartigen Unsinn hören.
2. Unser Gegner ist allein für diesen Krieg verantwortlich!
Das Ziel der Kriegspropaganda ist es, die Bevölkerung dazu zu bringen, destruktives Morden und Abschlachten gutzuheißen. Für reflektierte Sichtweisen über die Gründe ist daher kein Platz, denn die kleinsten Schattierungen oder Zweifel an der eigenen Moral und dem eigenen Handeln können die Zustimmung der Menschen zu einer so unmenschlichen Handlung wie dem Krieg verringern. So kennt die Kriegspropaganda natürlich nur Schwarz und Weiß. Die volle Schuld am Krieg liegt auf der Seite des Gegners, die eigene Seite war zur Reaktion gezwungen und hatte keine andere Wahl. Das ist die unumstößliche Wahrheit, die gefälligst zu schlucken ist.
Was den Ukraine-Krieg betrifft, so gibt es keine Geschichte vor dem 24. Februar 2022. Der Krieg begann an diesem Tag, und da die Russen ihn begonnen haben, ist er vollständig ihre Schuld. Die ständigen NATO-Expansionen in den Osten seit 1990 entgegen verbaler Versprechungen; der Sturz der ukrainischen Regierung 2014; die nationalistische Regierung, die gegen alles Russische im Land kämpft und die Ostukraine acht Jahre lang bombardiert; die Minsker Vereinbarungen als Täuschungsmanöver, um der Ukraine mehr Zeit für die militärische Aufrüstung durch die westlichen Länder zu geben; und die gewaltsamen Rückeroberungspläne der Ukraine für die Krim von 2021, haben natürlich nichts mit dem aktuellen Krieg zu tun. Russland hat ihn begonnen, und Russland trägt die alleinige Schuld. Wer etwas anderes glaubt, ist auf die Propaganda des Kremls hereingefallen.
3. Der Führer unseres Gegners ist der Teufel persönlich
Kriegspropaganda funktioniert, indem der Hass der eigenen Bevölkerung auf das gegnerische Land kanalisiert wird. Das Problem ist, dass ein ganzes Land und seine Bevölkerung eine anonyme Masse sind. Es ist viel einfacher, seinen Hass auf ein bestimmtes Gesicht zu projizieren. Und so ist es nur logisch, dass Kriegspropaganda den Anführer des Gegners dämonisiert, da niemand daran zweifelt, dass er die Hauptverantwortung für die Handlungen seines Landes trägt. Infolgedessen wird der Konflikt personalisiert, da das gesamte gegnerische Land auf eine Person und ihre Handlungen reduziert wird. Der Anführer des Gegners wird als der Teufel selbst charakterisiert, als ein Monster oder ein Wahnsinniger, mit allen Mitteln zu stoppen. Wenn möglich, werden auch körperliche Missbildungen hervorgehoben, da Menschen dazu neigen, Hässlichkeit negative Eigenschaften zuzuschreiben. Für die Massenmedien ist es leicht, abwertende Artikel zu verfassen, die sich nur auf die persönlichen Aspekte des jeweiligen Führers konzentrieren, damit die Menschen wissen, wen sie zu hassen haben.
Vom ersten Tag an wurde der Krieg in der Ukraine als Putins persönlicher Krieg zur Wiederherstellung des früheren Zarenreichs in Russland bezeichnet. Die Geschichte, die zu diesem Krieg geführt hat, wird ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass Putin im eigenen Land teilweise kritisiert wurde, sich die Aktionen des Westens zu lange gefallen lassen zu haben. Er wird abwechselnd als Teufel, Wahnsinniger oder Idiot bezeichnet. Zu Beginn des Krieges hieß es, Putin sei vielleicht krank und habe nur noch wenig Zeit zu leben. Aber er ist immer noch da und anscheinend in guter gesundheitlicher Verfassung. Auch Politiker und Medien suggerieren, dass jedes Problem gelöst ist, wenn Putin weg ist durch Sturz oder Tod. Sie ignorieren die Tatsache, dass es in Russland Hardliner gibt, die die Macht übernehmen und den Konflikt noch weiter eskalieren könnten.
4. Wir verteidigen eine edle Sache, nicht unsere Eigeninteressen
Da wirtschaftliche und geopolitische Interessen ungeeignete Gründe sind, um die eigene Bevölkerung zur Unterstützung eines Krieges zu bewegen, müssen diese wahren Ziele mit Moral kaschiert werden. Daher wird Kriegspropaganda immer mit selbstlosen, ehrenhaften Motiven argumentieren, wie der Verteidigung demokratischer Werte oder der Menschenrechte; dem Stoppen böser Tyrannen, die unschuldige Kinder massakrieren; oder dem Schutz des eigenen oder eines verbündeten Landes. Im Gegensatz dazu werden die Motive und Handlungen des Gegners als egoistisch, blutrünstig und barbarisch beschrieben, während man die Gesellschaft des gegnerischen Landes als moralisch primitiv charakterisiert.
Im Ukraine-Krieg war es eigentlich recht einfach, die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und die zunehmende Eskalation der Situation als hehres Ziel zu bezeichnen, da Russland das Land angegriffen hat. Schließlich verteidigen die Ukrainer nur ihr Land gegen einen barbarischen Aggressor, und als freie Länder mit hohen demokratischen und moralischen Werten ist es unsere Pflicht, sie um jeden Preis zu unterstützen. Dass die Ukraine acht Jahre lang ihr eigenes Volk in der Donbass-Region bombardiert hat und dass die „westlichen Werte“ ziemlich selektiv zu sein scheinen, da die USA ständig Kriege anzettelt und Menschen mit Drohnen ermordet, wird völlig ausgeblendet. Aber auch die Ukraine, das korrupteste Land Europas mit einem ausgeprägten Nazi-Kult um Stephan Bandera, ist plötzlich der Verteidiger von Demokratie und Menschenrechten. Und so wird die Unterstützung dieser „heldenhaften“ Verteidiger zur Verteidigung Europas selbst erklärt.
5. Der Feind begeht vorsätzlich Gräueltaten; wenn wir Fehler machen, geschieht dies ohne Absicht
Jeder Krieg ist von Grausamkeiten und Verbrechen auf beiden Seiten gekennzeichnet. Aber die Kriegspropaganda konzentriert sich nur auf die Verbrechen auf Seiten des Feindes. Es ist nur natürlich, dass die eigene Seite im Narrativ keine Gräueltaten begeht, denn das würde den selbsternannten edlen Zielen widersprechen, die man sich für die Bevölkerung zurechtgelegt hat. Wenn es also genügend Beweise für Kriegsverbrechen des Gegners gibt, werden diese bis zum Äußersten hochgespielt. Und wenn es keine ausreichenden Beweise gibt, werden Kriegsverbrechen erfunden. Die Massenmedien werden es unkritisch und unreflektiert übernehmen, da sie Teil des Propagandasystems sind. Auf der anderen Seite werden die Kriegsverbrechen der eigenen Partei nach Möglichkeit vollständig vertuscht. Wenn die Beweise zu erdrückend zum Verbergen sind, wird die Gräueltat als unglücklicher Unfall und Einzelfall abgestempelt, während der Feind natürlich systematisch Verbrechen begeht.
Im Ukraine-Krieg erfahren wir, dass Russlands Soldaten systematisch Menschen ermorden und Frauen vergewaltigen, weil das Teil ihrer Strategie ist. Es dürfte zwar sicher zu sein, dass russische Soldaten auch Gräueltaten begehen, doch werfen vermeintliche russische Verbrechen wie das Massaker in Bucha aufgrund zahlreicher Ungereimtheiten zumindest einige ernsthafte Fragen darüber auf, was wirklich geschehen ist. Andererseits werden offensichtliche Verbrechen ukrainischer Soldaten von den westlichen Medien meist völlig ignoriert. Dazu zählen etwa die Hinrichtungen gefangener russischer Soldaten, die von den Tätern selbst gefilmt und hochgeladen wurden, ebenso wie die Selbstjustiz-„Tradition“, Menschen mit Frischhaltefolie nackt an Laternenpfähle zu binden.
6. Der Feind setzt illegale Waffen ein
Dieses Prinzip ergänzt das vorherige. Während die eigene Seite auch im Krieg ehrenhafte Regeln befolgt, zögert die grausame und barbarische gegnerische Seite nicht, hinterhältige und schmutzige Taktiken und Mittel anzuwenden. Dazu gehört natürlich auch der Einsatz von illegalen Waffen. In den Erzählungen der Kriegspropaganda setzt der Feind also entweder illegale Waffen ein oder plant, sie einzusetzen. Wenn es tatsächliche Beweise für den Einsatz illegaler Waffen gibt, beschuldigen sich beide Seiten oft gegenseitig, dafür verantwortlich zu sein.
Während des Ukraine-Kriegs gab es in den westlichen Medien zahlreiche Berichte darüber, dass die Russen den Einsatz von Chemiewaffen planen. Während die russischen Medien wiederum berichteten, die ukrainische Armee plane den Einsatz dieser Waffen oder den Bau einer schmutzigen Bombe. Offenbar hat Russland tatsächlich Streubomben und Granaten eingesetzt, obwohl diese international geächtet sind. Aber die westlichen Länder sind keinen Deut besser, denn auch die USA und Großbritannien haben solche Waffen in ihren Kriegen verwendet und die Ukraine hat offiziell ihre Lieferung gefordert. Auch Uranmunition gegen Panzer wird nun von westlichen Ländern an die Ukraine geliefert, obwohl es eindeutige Beweise aus vergangenen Kriegen gibt, dass diese Munition Mensch und Umwelt mit Strahlung verseuchen kann. Ganz zu schweigen von den gegenseitigen Beschuldigungen der Ukraine und Russlands, auf das Kernkraftwerk in Saporischschja geschossen zu haben (interessanterweise wurden die Russen beschuldigt, auf ein Kernkraftwerk und nur dieses eine zu schießen, das sie selbst besetzt halten).
7. Wir erleiden kaum Verluste, die Verluste des Feindes sind erheblich
Es gibt die Tendenz, dass die Menschen gern Siegern folgen. Und wenn eine Kriegspartei viele Verluste einräumt, könnte ihre eigene Bevölkerung die Sinnhaftigkeit der Fortsetzung eines Unterfangens in Frage stellen, bei dem so viele Menschenleben geopfert werden. Daher rückt die Kriegspropaganda natürlich die Gewinnerseite in den Vordergrund, und die Gewinnerseite kann nur die eigene sein. Unabhängig davon, was tatsächlich auf dem Schlachtfeld geschieht. So wird jeder noch so kleine Gebietsgewinn maßlos übertrieben und als entscheidender Sieg bezeichnet, und jede Vernichtung von Truppen und Material des Feindes überbewertet und als vernichtender Schlag dargestellt. Andererseits werden territoriale Verluste als strategischer Rückzug schöngeredet, und die eigenen Verluste an Menschen und Material völlig verschwiegen. Der unfähige Feind verheizt sinnlos all seine Armeen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er besiegt ist. Und so fragt man sich, warum der Krieg überhaupt so lange dauert, wenn der Feind die ganze Zeit als am Rande der Niederlage stehend beschrieben wird.
Seit dem 24. Februar 2022, als Russland die Ukraine angriff, haben die westlichen Medien die Überlegenheit der ukrainischen Armee ständig übertrieben. Sie sei besser ausgerüstet und ausgebildet und habe die bessere Führung und Moral. Den Medien zufolge sollte man meinen, dass die ukrainische Armee inzwischen Moskau erobert haben muss, da sie offenbar nur gewonnen hat. Andererseits hätte Russland durch die „wirksamen“ Sanktionen schon längst wirtschaftlich kollabieren müssen. Und natürlich sind allein die Verluste der russischen Armee kolossal, ganz zu schweigen davon, dass ihre Ausrüstung Schrott ist und die Moral ihrer Soldaten niedrig. Sie haben diesen Krieg bereits verloren, sie wissen es nur nicht. Aber anscheinend sieht die tatsächliche Situation für die Ukraine nicht allzu gut aus. Nichtsdestotrotz hat die ukrainische Regierung vor kurzem Pläne vorgelegt, was nach der Rückeroberung mit der Krim geschehen soll, ein Unterfangen, dessen Erfolg sogar vom Pentagon bezweifelt wird. Man sollte nicht vergessen zu erwähnen, dass die russische Bevölkerung der gleichen Art von Propaganda ausgesetzt ist. Einzig die proklamierten Gewinner- und Verliererseiten sind vertauscht.
8. Anerkannte Intellektuelle und Künstler unterstützen unsere Sache
Bei der Kriegspropaganda geht es darum, alle Ressourcen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung zu nutzen, um die Kriegsmaßnahmen der eigenen Partei zu rechtfertigen. Dazu gehören auch Personen, die aufgrund ihres Fachwissens oder ihrer Bekanntheit als Meinungsführer auftreten können. Philosophen, Wissenschaftler und Historiker tun ihr Bestes, um die Notwendigkeit eines Krieges mit angeblichen intellektuellen oder wissenschaftlichen Beweisen zu untermauern. Aber selbst wenn sie es anders darstellen, verhalten sie sich eher wie politische Aktivisten als wie Intellektuelle, die eine objektive Beurteilung der Situation anstreben. Darüber hinaus werden Künstler wie Musiker und Karikaturisten eingesetzt, um den Krieg auf der emotionalen Ebene der Beeinflussung zu unterstützen.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges versuchen sogenannte Intellektuelle oder Experten ständig zu erklären, warum eskalierende Maßnahmen wie Waffenlieferungen alternativlos und deeskalierende Maßnahmen wie Friedensverhandlungen die schlimmste Lösung sind. In Fernsehinterviews dürfen sie oft nur ein paar oberflächliche Sätze sagen, die das gewünschte Narrativ bestätigen. Öffentliche Talkshows sind entweder mit völlig einseitigen Runden besetzt oder mit Runden, in denen eine Person mit einer alternativen Meinung (z.B. pro Friedensverhandlungen) auftritt, die von der konformen Mehrheit der Teilnehmer verbal hingerichtet werden soll. Es gibt Benefizkonzerte für die Ukraine, ukrainische Sänger gewinnen Wettbewerbe wie den European Song Contest (ESC) und ukrainische Schriftsteller gewinnen automatisch Literaturpreise, auch wenn ihre Werke voller Hass und Rassismus sind.
9. Unsere Sache ist heilig
Dieser Grundsatz kann wörtlich in einem religiösen Kontext verstanden werden, in dem der Krieg als ein Kreuzzug im Auftrag Gottes bezeichnet wird. Ein solches Verständnis mag in Ländern mit einer stark religiösen Bevölkerung und einem geringeren Grad an Säkularisierung funktionieren. Er kann aber auch eher symbolisch verstanden werden, indem der Krieg als eine Art Kreuzzug für Demokratie, Menschenrechte oder andere höhere Werte dargestellt wird gegen einen Feind, der diese Werte zerstören will. Im Grunde also die klassische „Gut gegen Böse“-Schiene.
Im Falle des Ukraine-Krieges scheint das zweite Verständnis das passendere zu sein. Der Krieg wird nicht nur als heroischer Akt der Selbstverteidigung der demokratischen Ukraine beschrieben, sondern auch als ein Akt der Verteidigung der gesamten westlichen Zivilisation. Wenn die Ukraine fällt, ist Europa verloren, sagt man uns (obwohl andererseits immer wieder betont wird, wie schwach die russische Armee und Wirtschaft sind). Ein Akt der Unterstützung für die Ukraine ist also auch ein Akt der Verteidigung unserer selbsternannten höheren westlichen Werte. Auf der anderen Seite wird Russlands Armee als Armee der Hölle entmenschlicht, genauer gesagt als Armee von Mordor, da russische Soldaten ständig als Orks bezeichnet werden.
10. Wer unsere Propaganda in Zweifel zieht, hilft dem Feind und ist ein Verräter
Der letzte Grundsatz ist ein übergreifender, der alle anderen ergänzt. Wie bereits erwähnt kennt Kriegspropaganda nur Schwarz und Weiß. Diese vereinfachte Sichtweise wird nicht nur für die Darstellung des Feindes, sondern auch für die Menschen auf der eigenen Seite genutzt. Man ist entweder für den Kriegskurs oder gegen den Kriegskurs des eigenen Landes, dazwischen gibt es keine Grautöne. Das heißt, wenn jemand den Krieg nicht uneingeschränkt unterstützt, wenn jemand auch nur den geringsten Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aktionen und der Propaganda hat, die auf den oben genannten Prinzipien beruhen, dann ist es egal, wie diplomatisch und logisch er seine Meinung darstellt. Man wird als Feind betrachtet, als jemand, der bekämpft werden muss. Im besten Fall heißt es, dass man von der Propaganda des Feindes beeinflusst ist und niemand auf diese Meinung hören soll. Im schlimmsten Fall gilt man als Kollaborateur oder Verräter und wird aktiv bekämpft, mit Repressionen wie dem Verlust des Arbeitsplatzes, Sanktionen oder sogar mit rechtlichen Maßnahmen.
Seit dem Beginn des Ukraine-Krieges wird jeder, der Putin nicht als den Teufel persönlich und Russland nicht als das Reich der Finsternis sieht, als Freund des Kremls eingestuft. Man braucht gar nicht erst anfangen mit Fakten, die die Rolle der USA, anderer westlicher Länder und der Ukraine bei der Eskalation der Situation bis hin zum Krieg belegen – all das ist russische Propaganda und man ist ein Propagandist, wenn man diese Tatsache erwähnt. Rassismus gegen Russen ist plötzlich wiedererwacht, russischen Sportlern wird die Teilnahme verboten, obwohl sie nichts mit dem Krieg zu tun haben. Einige Russen haben sogar ihren Arbeitsplatz verloren, obwohl sie seit vielen Jahren im Ausland leben, nur weil sie die russische Regierung nicht ausreichend verurteilt haben. Übel beschimpft werden Friedensaktivisten, die sich für Verhandlungen einsetzen. Öffentliche Talkshows dienen als verbale Hinrichtungen, da eine kriegskritische Person gegen vier oder fünf hasserfüllte Gesprächspartner einschließlich des Moderators argumentieren muss. Vor allem die Medien verlieren zunehmend jeden Sinn für Anstand und angemessene Umgangsformen und verwenden teilweise eine Sprache, die an dunkle Phasen der deutschen Geschichte erinnert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zehn Prinzipien der Kriegspropaganda auf den Ukraine-Krieg genauso zutreffen wie auf Kriege in der Vergangenheit. Die Methoden sind immer wieder dieselben: Schwarz-Weiß-Malerei statt reflektierter Sichtweisen, Emotionalisierung und Moralisierung statt Beweisen und unfairer Kampf gegen alternative Meinungen statt demokratischer Diskurs. Man sollte sich vor Augen halten, dass ausnahmslos alle Kriegsparteien diese Propagandaprinzipien anwenden. Die erste und meiner Meinung nach wichtigste Maßnahme, um gegen solche Propaganda immun zu werden, ist daher die Entwicklung eines Bewusstseins, Propaganda ausgesetzt zu sein. Wenn man diese Art des Denkens verinnerlicht hat, kann die Nutzung verschiedener Informationsquellen, sowohl der eigenen als auch der gegnerischen Seite, dazu beitragen, eine reflektiertere Perspektive auf die tatsächlichen Geschehnisse zu erhalten.
Peter Müller