Das Rätesystem ist für Radikaldemokratie geeignet!
Ich möchte die simple Räte-Struktur, auf die Ebene einer alternativen Staatstheorie heben. Wer sich mit dem Rätesystem näher befasst, erkennt eine Staatstheorie, die in der Vergangenheit nicht komplett ausgearbeitet wurde, welche wir aber dringend benötigen, weil das System der Entmündigung durch “Repräsentanten”, hoffnungslos diskreditiert ist und von einer steigenden Anzahl der Bevölkerung in den westlichen Ländern, durch etwas Besseres ersetzt werden möchte. Die Freiheit der Völker des Südens und des Ostens, ist eng mit dem Schicksal unserer Freiheit verbunden und so wird wohl Niemand seine Freiheit erringen, ohne sich auch für die Freiheit des jeweils Anderen einsetzen zu müssen.
Wir haben es offensichtlich mit einer global herrschenden Klasse zu tun, deren Macht nur durch internationale Zusammenschlüsse aller nach Freiheit strebenden Menschen beendet werden kann. Aufstände in einem Land, in Teilen eines Landes, oder gar nur auf einem Kontinent, würde die herrschende Klasse damit beantworten, dass sie militärische Interventionen von den Teilen des Planeten aus startet, in denen ihre Machtstrukturen noch funktionieren.
Wenn wir dieses Problem lösen möchten, sollten wir uns auf möglichst große Bündnisse zwischen den kleinsten demokratischen Strukturen konzentrieren und föderale Verträge vorschlagen. Mehr als Vorschläge für Verhandlungen über Bündnisse und Föderationen können es nicht sein, wenn man jede basisdemokratische Einheit als Souverän betrachtet. Wenn wir den Begriff “Elementarrepubliken” für den Demos, also für kommunale Strukturen mit eigener Ortsverfassung annehmen, sind wir beim ersten Staatstheoretiker gelandet, der sich mit dem Rätesystem befasst hat, weil er es in der amerikanischen Revolution beobachten konnte. Thomas Jefferson (1743-1826) sprach sich für ein “ward-system” (Bezirkssystem) aus. Zitat:
“Die Elementarrepubliken, die Länderrepubliken und die Republik der Union sollten sich in einer Stufenfolge von Machtbefugnissen gliedern, deren jede, im Gesetz verankert, die alle zusammen in ein System von wirklich ausgewogenen Hemmungen und Kontrollen für die Regierung integriert sind.” (Briefe vom 2. Februar 1816 an Cabel, in Englisch)
Hanna Arendt schlägt in ihrem Buch “Über die Revolution”, einen anschaulichen Bogen von den “Town Hall Meetings” der amerikanischen Revolution 1763-75, über die “Pariser Kommune und ihre Sektionen” von 1789-93, zu den Sowjets der Russischen Revolution 1917-18, der Münchner Räterepublik von 1919 und den Aufstand der “ungarischen Räte” von 1956.
Auch die “Runden Tische” 1989 im Endstadium der “Deutschen Demokratischen Republik” (DDR), hatten Räte-republikanische Züge, zumal sich in der Armee diese Organe direkt als “Soldatenräte” bezeichneten. So unwissend und spontan wir damals auch waren, so leicht konnte uns die global herrschende Klasse überwältigen.
Sie hatten die marxistischen Apologeten systematisch mit kleinen heißen Kriegen und mit dem großen kalten Wirtschafts-Krieg so zermürbt, dass wir zwar deren Herrschaft abschütteln konnten, aber dann sofort an der breiten Intervention der westlichen Oligarchen scheiterten.
Sie schickten am 31.01.1990 Kohl nach Moskau zu Gorbatschow, wo die Bedingungen der Kapitulation ausgehandelt wurden. Die DDR wurde an die BRD übergeben und basta! Gorbatschow schickte später zur Sicherheit ein Fernschreiben an die Kommandeure der ostdeutschen Armee, zu denen auch ich zählte, in dem er uns mit dem Einsatz der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Ostdeutschland drohte, falls wir irgend welche Aktivitäten entwickeln würden, welche die Souveränität Ostdeutschlands, das von ihm zur Übernahme durch den Westen frei gegeben wurde, verhindern könnten. Damit waren wir Kommandeure mit sowjetischer Gewalt dazu gezwungen worden, allen Wünschen von Volksräten, die Souveränität unseres Landes zu verteidigen, eine Absage zu erteilen, weil uns die sowjetischen Soldaten im eigenen Land zahlenmäßig um das Vierfache überlegen waren.
Uns blieb also nichts anders übrig, als die Übergabe unseres Landes und des gesamten Inventars, auch der Waffen, zu erdulden. Widerstand war im Ansatz hoffnungslos und das hatte auch die Bevölkerung sehr schnell verstanden. So blieb uns nur der Abbruch unseres kurzen Versuches, eine wirklich demokratisch verfasste Republik im Osten Deutschlands errichten zu wollen.
Daniela Dahn hat als Teilnehmerin an einer demokratischen Struktur in der Wendezeit intensive Erfahrungen gesammelt und konnte diese in Büchern vermitteln. Sie zählt zu den führenden Radikaldemokratinnen unserer Zeit, von der auch der Radikaldemokrat Reiner Mausfeld beeinflusst wurde.
Was ich mit dem Schwenk dieses Themas, hin zur so genannten „Wende“ von 1989-90 in Ostdeutschland verdeutlichen möchte ist, dass es eine ganze Reihe von Menschen gab und auch noch gibt, die wie Daniela Dahn ganz dicht an den Ereignissen dran waren und handgreiflich erlebt haben, wie sich demokratische Instinkte des Volkes ganz einfach Bahn brechen, wenn “die da Oben” nicht mehr können und “die da Unten” nicht mehr wollen. Das Volk hat einen sehr feinen Instinkt für seine Herrschaft und weiß ganz genau, wann es beherrscht wird. Wie lange es eine Fremdherrschaft erduldet, hängt davon ab, wie stark die Unterdrücker im Sattel sitzen und wie viel Kraft das Volk für den Erfolg seines Aufstands zu seiner eigenen Machtergreifung verspürt.
Die Frauen stellen in einer patriarchalen Welt die zahlreichste und am meisten unterdrückte Masse in der Bevölkerung dar und darum waren sie bei allen wirklichen Revolutionen vorne weg. Frauen sind ein sehr guter Indikator für die Einschätzung einer vorrevolutionären Situation.
In diesem Zusammenhang ist es sehr interessant, dass besonders Frauen dem Ruf nach “Demokratie” im „Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung – „aufstehen“ von 2018 bis 2019 gefolgt sind, um sich nichts mehr gefallen zu lassen, der aber von den „Gründern“ offensichtlich nicht so gemeint war.
Wenn man bedenkt, dass die größten Parteien in diesem Land knapp auf 500.000 Mitglieder kommen, so hat den „Mächtigen“ die reine Anmeldezahl von 167.000 in den ersten Wochen von „aufstehen“, die spontan bereit waren die Axt an die bestehenden Machtverhältnisse zu legen, einen gehörigen Schrecken eingejagt. Um so schwerwiegender ist das Versagen und der Verrat dieser „Gründer“, welche diese „Aufständischen“ von 2018 bis 19 nicht demokratisch organisiert, sondern systematisch durch Zensur und Unterdrückung demobilisiert und vertrieben haben. Dennoch haben sie die Demobilisierung dieser Demokratiebewegung „aufstehen“ nicht vollständig erreicht, weil unsere Wochenzeitung „Der Aufstand“, die aus dieser Bewegung hervorgegangen ist und unsere Leser auch von damals immer noch unterstützt und mit ihnen zusammen politisch wirkt.
Um Demokratie zu ermöglichen, schlug Thomas Jefferson nach Ende seiner Amtszeit und als er Klarheit über alles Erlebte gewonnen hatte, dass Rätesystem vor, welche durch die Errichtung kleiner Elementar-Republiken (Bezirke, Kommunen, Demos im Griechischen), aus denen dann übergeordnete Strukturen hervorgehen, die streng an die Basis gebunden sind und von diesen kontrolliert werden. Ohne diese Voraussetzung, würde das Grundprinzip einer demokratischen Republik, dass alle Macht beim Volke liegt, eine leere Phrase sein.
Dazu empfahl er, die Regierungsgeschäfte unter den Staatsbürgern so aufzuteilen, dass jedem Bürger genau die Funktion zugewiesen wird, die er zu erfüllen in der Lage ist. Sein Anliegen galt vor allem der Sicherung einer Republik, um die Entartung der Regierung zu verhindern, weil nach seiner Einschätzung jedes Staatswesen in großer Gefahr ist, in dem die Macht in den Händen von Einem, von Wenigen, von den durch Geburt Begünstigten, oder in den Händen einer Mehrheit konzentriert ist.
Es handelt sich darum, jedem Einzelnen die ihm zukommende Macht der Selbstbestimmung zu erhalten, die er im Rahmen seiner Kompetenzen ausüben kann. Nur durch das Aufbrechen der alten undemokratischen Strukturen des Parteisystems, in eine Organisations- und Versammlungsform, in welcher ein jeder zählt und seine Bedürfnisse angemessene Berücksichtigung finden, kann der Zusammenhalt einer sehr großen Gesellschaft langfristig garantiert werden.
Dies kann nur erreicht werden, wenn man versucht, nach Möglichkeit jede und jeden in die Gestaltung des jeweiligen Gemeinwesens einzubeziehen, die Teilhabe an den Regierungsgeschäften zu jeder Zeit garantiert ist und nicht nur an bürokratisch festgelegten Wahltagen, die alle paar Jahre im Geheimen zelebriert werden, wo die Staatsbürger in der Regel durch das Parteiensystem gar keinen Einfluss auf die zu wählenden Kandidaten haben. Thomas Jefferson schrieb dazu:
„Wenn es erst keinen Mann mehr im Staate gibt, der nicht Mitglied eines seiner Räte ist, seien diese nun groß oder klein, wird er sich eher das Herz aus dem Leib reißen, als sich seine Macht entwinden zu lassen durch irgendeinen Cäsar oder Bonaparte.“ (Briefe vom 2. Februar 1816 an Cabel, in Englisch)
So wünschenswert eine kontrollierte und sanfte Transformation vom gegenwärtigen räuberischen System zu einem wirklichen Gemeinwesen auch sein mag, so wenig realistisch scheint sie zu sein. Wenn es aber weiter zu erheblichen wirtschaftlichen Einbrüchen und politischen Turbulenzen kommt, hängt vieles davon ab, wie die Menschen dazu in der Lage sind, sich zu organisieren, welche Auseinandersetzungen sie in den Jahren zuvor geführt und welche gesellschaftlichen Visionen sie entwickelt haben.
So lange das System einigermaßen funktioniert, mögen viele Aktivitäten zu dessen Ersetzung wie ein Kampf gegen Windmühlen erscheinen. Doch sowie das System zunehmend in chaotische Phasen gerät, werden die bisher gemachten Erfahrungen sehr nützlich sein.
Eine Bevölkerung, die Jahrzehnte zu passiven Zuschauern degradiert wurde, wird mit schwindender Macht des Systems nichts anzufangen wissen und ihre gewonnene Macht wieder an die üblichen Verdächtigen verschenken. Dem gegenüber können politisch aufgeklärte und gut organisierte Bürger eine reelle Chance haben, Systemkrisen als Ausgangspunkt für einen friedlichen Umbau der Gesellschaft zu nutzen, der uns aus der destruktiven Logik des bestehenden Systems herausführt.
Das System der Repräsentanten wird von immer mehr Menschen als Blockade eines tiefgreifenden Wandels verstanden. Der Grund liegt vor allem darin, dass der Fokus auf die Wahlen von Vertretern lag, um systemisch relevante Fragen aus dem öffentlichen Diskurs heraus zu halten.
Dies führt einerseits dazu, dass demokratiefeindliche Strömungen lauter werden und nach autoritäre Erlöser rufen und andererseits die Suche nach neuen Formen der Demokratie eingesetzt hat, um die Filter der Repräsentation und die durch sie manipulierte öffentliche Meinung zu überwinden.
Die repräsentative Demokratie wird von immer weniger Menschen als letztes zu erreichendes Ziel angesehen und viele suchen bereits nach echter Selbstbestimmung. Dies bedeutet jedoch nicht, das sie die im Rahmen dieses Systems erkämpften Rechte, so löchrig und unvollständig sie auch sind, aufgeben sollten. Die bisher errungenen Freiheiten, gilt es gegen alle autoritären Angriffe zu verteidigen und gleichzeitig neue Strukturen an der Basis aufzubauen, um unsere Entmündigung durch Repräsentation nach und nach überwinden zu können. Diese Doppelstrategie ist notwendig, weil die Demokratisierung gerade erst einsetzt und noch einige Zeit für ihre Entfaltung benötigt.
Es gab und gibt zahlreiche radikaldemokratische Denker und Publizisten, aber viele Fragen können letztendlich nur in der Praxis erprobt und entschieden werden. Aus den Schriften vieler Autoren zum Thema Demokratie, haben wir eine radikaldemokratische Staatstheorie entwickelt, dass für alle demokratischen Strukturen praktikabel ist und von uns als empfehlenswert eingestuft wird (siehe Ausgabe 44/24, Seite 6 bis 13).
Thomas Jefferson war der Meinung, dass man nur den Anfang mit den Räten zu machen brauche, um sehr schnell zu entdecken, wofür sie sich sonst noch eignen. Er legte sich bei der genauen Funktion seiner Räte/Elementarrepubliken nicht fest, weil ihm bewusst geworden war, das diese Struktur auf sehr viel mehr hinauslief als eine bloße Reform oder Ergänzung der bestehenden Staatsform. Nach dem er am Ende seiner Regierungszeit Gelegenheit zum Nachdenken hatte, wurde ihm klar, das der Endzweck einer Revolution die Konstituierung der Freiheit im öffentlichen Raum war, in der jeder von seiner Freiheit Gebrauch machen kann. Es kann keiner glücklich genannt werden, der nicht das Recht besitzt, an öffentlichen Angelegenheiten teil zu nehmen und keine Macht hat, über die Regeln die er befolgen soll, mit zu bestimmen.
Die Geschichtsschreibung der Hof-Historiker spart das Andenken an alle Versuche des Volkes aus, für sich selbst demokratische Strukturen zu errichten, obwohl man deren Ursprünge bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen kann und die in jeder revolutionären Situationen immer wieder alle Hindernisse überwinden konnten. Es Handelt sich also um eine neue Staatsform, die in regelmäßigen Abständen immer wieder in Form von spontanen Räte-Bildungen in Erscheinung tritt.
Vielen der großen Parteifunktionäre wie zum Beispiel Marx und Lenin viel auf, dass sie selbst solche Ereignisse nicht im mindesten vorhergesehen hatten, obwohl diese Ereignisse sich regelmäßig wiederholen. Sie wussten über die revolutionäre Rolle des Rätesystems Bescheid, aber lehnten sie als Keim einer neuen Staatsform immer wieder ab. Sie betrachteten diese offensichtlichen Elemente der Herrschaft des Volkes, die offenbar jede Revolution übernehmen wollen, als bloße Hilfsmittel ihrer eigenen Machtergreifung, die anschließend wieder verschwinden müssten. Das Rätesystem stand offensichtlich im Widerspruch zu allen revolutionären Theorien linker Parteifunktionäre, die sie über das Verhältnis von Macht und Gewalt unter ihrer Führung verfasst haben, die sie aber mit den noch Herrschenden teilen. Da sie genau wie alle anderen Parteifunktionäre undemokratische Strukturen meistens nicht kritisch hinterfragen, stellen sie sich unter einer Revolution nichts anderes vor, als einen Prozess, der zu ihrer persönlichen Machtergreifung führen muss. Macht identifizieren sie mit ihrem Monopol über alle staatlichen Gewaltmittel, was aber zu keiner Zeit den wirklichen Bestrebungen von revolutionären Erhebungen entsprach.
In der Wirklichkeit trat meistens ein totaler Machtverlust der alten Regime ein, die ihre Autorität jäh verloren und damit natürlich auch die Kontrolle über die Armee und Polizei, so das ein bewaffneter Aufstand von Seiten des Volkes, sofern er überhaupt nötig wurde, sehr schnell beendet war, weil die Mehrheit der Armee und der Polizei in der Regel zum Volk überlief. Anschließend kam es in der Regel und überall zur Bildung neuer Machtstrukturen, die keineswegs von Parteifunktionären ins Leben gerufen wurden, sondern aus dem Volk spontan erwuchsen.
Die linken Parteifunktionäre hatten in jeder Revolution immer wieder das selbe Problem, sobald es zu einer Revolution kam, hatte die Macht die sie gerade eben noch ergreifen wollten, aufgehört zu existieren. Sie fanden sich immer wieder vor die für sie nicht gerade angenehme Alternative gestellt, entweder den eigenen Parteiapparat an die Stelle der verschwundenen Staatsmacht zu stellen, oder sich einfach den neuen Machtstrukturen des Volkes anzuschließen, die völlig ohne ihre Hilfe entstanden sind.
Nun ist es immerhin bemerkenswert, dass zwei der berühmtesten linken Parteiführer wie Marx und Lenin es waren, die in revolutionären Situationen zwischen der „Macht der Räte“ und der „Macht für ihre Partei“ hin und her schwankten. Marx bei der Revolution in Paris 1871 und Lenin gleich zweimal in der russischen Revolution 1905 und 1917.
Marx hatte über die Vorgänge um die Pariser Kommune einen lichten Moment zum Thema einer neuen Staatstheorie und bemerkte, dass deren Kommunalverfassung nur eine kurze Skizze war, weil sie nicht genügend Zeit hatten, diese weiter auszuarbeiten. Ja, Marx interessierte sich nur kurze Zeit für das Rätesystem, als er von den Vorgängen in Paris überrascht wurde und fing an zu glauben, dass „die Kommune“ endlich die entdeckte politische Form sei, unter der sich „die ökonomische Befreiung der Arbeit“ vollziehen könnte. Man beachte die Wortwahl „Befreiung der Arbeit“ und nicht „die Befreiung der Arbeiter“. Das zeigt auch Marx seine abstrakte Betrachtung der Arbeit in seiner Mehrwerttheorie, in der er den Arbeitern in einer Übergangsgesellschaft (Sozialismus) die nie enden wollte, einen „gerechten Lohn“ in Aussicht stellte, aber die Lohnsklaverei an sich nicht in Frage gestellt hat. Die Mehrwerttheorie von Marx verlässt zu keinem Moment das Eigentumssystem mit der Lohnsklaverei als ökonomische Basis und ist damit nicht wirklich revolutionär, sondern reformistisch. Wenn Marx die Fundamente des privat-kapitalistischen Systems angegriffen hat, dann verwies er auf eine ferne „kommunistische“ Zukunft, nach seiner staatskapitalistischen Übergangsgesellschaft (Sozialismus), die immer nebulös blieb.
Aber in der Zeit der Pariser Kommune 1871 war ihm vorübergehend klar geworden, dass dieses System der Kommunen die Staatsmacht selbst in die Hand genommen hätte, wenn sie nicht mit militärischer Gewalt daran gehindert worden wären. Er erkannte zu dieser Zeit das Rätesystem der Kommunen als die wirklich demokratische Grundlage für eine freie Republik an. Aber zwei Jahre später bezeichnete er das lokale Selbstregierungssystem als Träumerei, gab sie völlig auf und kehrte zur „realpolitischen“ Vorstellung von der „Diktatur des Proletariats“ von Louis-Auguste Blanqui zurück, die in der Realität immer auf die Diktatur der Parteiführer hinausläuft.
Marx war an einer eigenen Staatstheorie desinteressiert und konzentrierte sich auf die soziale Frage im herrschenden Eigentumssystem, was ihn zu einem hervorragenden Bündnispartner aller reformistischen Strömungen für einen Staatskapitalismus (auch Sozialismus genannt) machte. Nicht zuletzt geht auch die Gründung der SPD und der II. Internationale auf seine Initiative zurück, nachdem er das Bündnis mit den Anarchisten in der I. Internationale (IAA) aufgekündigt hatte, weil die sich seiner Diktatur (Generalität) nicht unterwerfen wollten. Zitat:
„Die Arbeiter müssen … auf die entschiedenste Zentralisation der Gewalt in die Hände der Staatsmacht hinwirken. Sie dürfen sich durch das demokratische Gerede von der Freiheit der Gemeinden, von Selbstregierung usw. nicht irre machen lassen.“ (Enthüllungen über den Kommunistenprozess zu Köln, Ausgabe der Sozialdemokratischen Bibliothek, Band. IV, Hattingen/Zürich 1885, S.81)
Wer sich das Zitat genau durch den Kopf gehen lässt, kommt vielleicht auf die Frage: In wessen Zentralmacht sollen die Arbeiter alle Gewalt übergeben und wer ist genau diese neue „Staatsmacht“? Dieses Zitat zielt keineswegs darauf ab, die Macht in die Hände der Arbeiter zu legen, sondern erklärt die Arbeiter für „irre“, wenn sie nur an eine Volksherrschaft denken.
Seit die marxistischen Parteifunktionäre Marx für „unfehlbar“ erklärt haben, liegt ihr Gehirn an der Garderobe und sie haben statt dessen einen dogmatischen Katechismus erschaffen, der einen Teil des Volkes und nicht nur Arbeiter, im wahrsten Sinne des Wortes in die Irre geleitet hat. Zitat:
„Die revolutionären Gemeinderäte sind für Marx nichts weiter als zeitweilige Kampforgane, die die Revolution vorwärtstreiben sollen, er sieht in ihnen nicht die Keimzellen für eine grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft, die vielmehr von oben, durch die proletarisch zentralistische Staatsgewalt, erfolgen soll.“ (Oskar Anweiler, Die Rätebewegung in Russland 1905-1921, S.19)
Auch hier wieder die Formulierung „proletarisch zentralistische Staatsgewalt“. Doch wer bitte ist diese „Staatsgewalt“ in der „Realpolitik“? War das wirklich „das Proletariat“? Kann das gesamte Proletariat „ein“ Diktator sein? Natürlich nicht und diese „schwere Aufgabe“ haben dann immer die marxistischen Parteiführer übernommen.
Rein mathematisch benötigt eine Mehrheit der Gesellschaft wie die der Lohnabhängigen gar keine Diktatur, weil sie in jeder demokratischen Struktur, ja gerade die Mehrheit stellen und mit Demokratie ausgezeichnet zurecht kommen. Aber eine Parteiführung kommt mit Demokratie eben gar nicht zurecht und muss ihre Diktatur errichten, oder in die Bedeutungslosigkeit verschwinden.
Genau diese Position zu den Räten, kann man bei dem Marxisten Lenin gleich zweimal feststellen, weil er genau zweimal mit dem Rätesystem konfrontiert war, das er nie propagiert hatte und in deren Hände er seine Macht „die Macht der Partei“ nie legen wollte. Erst begrüßt dieser Typus von Parteifunktionären das Erscheinen der Räte, um ihnen dann recht bald zu erklären, dass ihnen die Macht gar nicht zusteht und wenn sie diese nicht freiwillig an „die Partei“ übergeben, müssen sie eben „liquidiert“ werden.
Zu Beginn der Revolution täuschte er die Räte mit der Losung: „Alle Macht den Sowjets (den Räten)!“, um sofort nach dem Ende der Alten Macht, seine Abneigung gegen die Sowjets/Räte als „überparteiliche“ und „parteilose“ Organisationen hervorzuheben und solche Körperschaften „schlagkräftig“ durch seine Partei „überflüssig“ zu machen. Dabei handelt es sich um einen Verhaltensablauf aller Parteifunktionäre gegenüber demokratischen Strukturen der Selbstverwaltung.
Als sich die in die Enge getriebenen Sowjets mit einem Aufstand gegen die Parteidiktatur wehren wollten, missbrauchte Lenin sofort seine erschlichene „Staatsmacht“ und setzte die Armee des Landes mit verleumderischer Propaganda, dass die Sowjets „konterrevolutionär“ seien, gegen alle Aufständischen ein und ließ sie an die Wand stellen, genauso wie 50 Jahre zuvor die Kommunarden in Paris an die Wand gestellt wurden.
Das bolschewistische Regime behielt den Namen des Landes „Sowjetunion“ bei, weil Lenin und Trotzki mehr als einmal betont hatten, dass die Räte die einzige Form unmittelbarer Demokratie seien. Sie saßen in der eigenen Falle und konnten die Peinlichkeit nur nach innen mit Gewalt unterdrücken. Dieser Name diente nur zur Verschleierung der wirklichen Verhältnisse und war zur Lüge geworden.
Gerade Trotzki hatte bereits 1905 das Merkmal der Sowjets und ihre spontane Entstehung, als ein elementares Bedürfnis aller Aufständischen erkannt und sie in deutlichem Gegensatz zu den Verschwörungen linker Parteifunktionäre gestellt. Wie peinlich muss es für ihn gewesen sein, wenn er daran erinnert wurde?
Im Ernstfall denkt keiner der linken Parteifunktionäre daran, das Machtmonopol ihrer Partei den Räten zu überlassen, sondern sie nehmen sogar eine blutige Unterdrückung und auf lange Zeit hin berechnete Zwangsherrschaft, in einer so genannten „Übergangsgesellschaft“ in Kauf.
Die sozialistischen Parteifunktionäre wussten ganz genau, dass ihnen in einem Sowjetsystem nicht nur der Verlust der Staatsmacht, sondern auch der Verlust einer beschränkten Macht drohte, die ihnen in jedem bürgerlichen Parlament zugefallen wäre. Während der Zeit der bayrischen Räterepublik 1919 erklärte Eugen Levine (KPD), einer der prominentesten marxistischen und Parteifunktionäre:
„Die Kommunisten treten nur für eine Räterepublik ein, in der die Räte eine kommunistische Mehrheit haben.“ (Zitiert nach Helmut Neubauer München und Moskau 1918-1919: „Zur Geschichte der Rätebewegung in Bayern“, in den Jahrbüchern für die Geschichte Osteuropas, Beiheft 4, 1958)
Damit wird deutlich, dass der Begriff „Kommunist“ für sozialistische Marxisten faktisch gar nicht zutrifft, weil dieser sich auf die Revolutionäre der Kommune aus der französischen Revolution von 1789-93 und 1872 bezieht, welche nichts mit dem Parteiensystem zu tun haben wollten. Die Marxisten stehen dafür aber ganz klar in der Tradition der Jakobiner, welche die Pariser Kommune und deren Sektionen von 1789-93 blutig bekämpften und Mitbegründer des parlamentarischen Parteiensystems waren. Sowohl die Jakobiner, als auch die Marxisten haben sich ihre Hände mit dem Blut der „Kommunarden/Rätebewegung“ beschmutzt.
In der Regel werden die linken Parteien und ihre Führer vom Ausbruch einer Revolution völlig überrascht und darum sind sie nicht die Revolutionäre, sondern Diejenigen, welche nach dem Ausbruch einer Revolution versuchen die Macht in ihre Hände zu bekommen, bevor es das Volk schafft sich zu befreien und seine demokratische Räte-Macht errichtet. Das bedeutet, dass Parteien grundsätzlich und im Endeffekt immer konterrevolutionär in Bezug auf die Errichtung einer radikalen Demokratie sind.
Der Autoritätsverlust der Machthaber, der jeder Revolution vorangeht, ist heute wieder für alle sichtbar. Die Symptome allgemeiner Unzufriedenheit und Verachtung gegenüber den Regierenden Parteien ist heute allgegenwärtig und stürzt alle Parteien in Existenz-Krisen. Aus Erfahrung können wir also sagen, dass die weit verbreitete Verachtung für die Macht der Parteifunktionäre, eine unwiderstehliche Ursache für Revolutionen ist. So unbedeutend wie Parteifunktionäre in der Regel für den Ausbruch einer Revolution sind, desto gefährlicher sind sie für den Verrat der Revolution, wenn wir nicht aus der Geschichte lernen und uns von ihren Sonntagsreden einwickeln lassen, um ihnen unsere durch eine Revolution errungene Macht wieder zu überlassen. Der gewöhnliche Parteifunktionär, welcher die einmal ausgebrochene Revolution in die Hand bekommt, ist gerade besonders ungeeignet eine Revolution zu verwirklichen und wird selbstverständlich sein undemokratisches Handwerk anwenden, um all das was dem widerspricht was er gelernt hat, als konterrevolutionär zu verleumden.
Das Dilemma der vergangenen Revolutionen liegt darin, dass sich gerade die Lohnsklaven immer wieder auf gebildete Kleinbürger verlassen haben, weil das Vertrauen in die eigene Bildung und Fähigkeiten, um eine neue Staatsmacht zu errichten, zu gering war. Der Dreh und Angelpunkt liegt also darin, die unterdrückte Klasse der Lohnabhängigen durch Bildung und Aufklärung auf ihren meist spontan ausbrechenden Aufstand vorzubereiten und deren Selbstvertrauen zu stärken.
Bisher hatten wir nur den marxistischen Flügel des linken intellektuellen Kleinbürgertums behandelt, aber es gibt auch einen „ultra- linken“, den Anarchismus!
Die Vertreter des Anarchismus wurden in der Vergangenheit als Widerpart zu den autoritären Marxisten überschätzt. Wie sollten gerade Anarchisten einem Phänomen wie dem Rätesystem gerecht werden, das so deutlich darauf hinweist, dass eine Revolution nicht Staats- und Gesetzes- feindlich ist, sondern die Neugründung des Staates und die Errichtung einer neuen Ordnung bezweckt. Die Mehrheit der politisch interessierten Menschen wünscht sich heute ein Staatsmodell, in dem sie selbst die legislative Macht inne haben und in dem die von ihnen eingesetzten Staatsgewalten streng voneinander getrennt sind, damit sie sich nicht gegen das Volk verschwören können.
In jeder Revolution haben sich spontan Räte gebildet und wir haben eine Revolution vor der Tür. Jetzt kommt es darauf an, die Bevölkerung über ihre demokratischen Traditionen aufzuklären und deren Selbstvertrauen zu stärken, damit sie nicht länger ihre Macht an die falschen Propheten des Parlamentarismus verschenken. Schon jetzt muss überall da wo es möglich ist, mit der Organisation einer Selbstverwaltung begonnen werden. Fangen wir zum Beispiel mit der Organisation freier und demokratisch verfasster Medien an, die das Informationsmonopol der herrschenden Klasse und ihrer Parteien brechen, um deren Indoktrination zu neutralisieren.
Aber kommen wir auf die ultra- linken Anarchisten und deren Verhältnis zum Rätesystem zurück. In der Tat waren die Anarchisten in revolutionären Situationen immer sehr schnell bereit Räte zu unterstützen und tendierten oft dazu sich anzupassen. Aus ihren Reihen gingen einige sehr ehrliche Revolutionäre hervor, die meist tragisch scheiterten. Leider fehlte ihnen immer wieder eine programmatische Vorstellung über die Funktionsweise des Rätesystems, was mit ihrem recht naiven Nihilismus gegen jede Macht kollidierte. Immer wieder verstiegen sie sich in ihrer recht schlichten Programmatik darin, dass sie gewaltsam festlegen dürften, was das Volk als Souverän zu wollen hätte.
Die zahllosen und oft gewaltigen Niederlagen der Anarchisten in den Ereignissen ihrer ersten Terrorwelle Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, dann im Bürgerkrieg der Ukraine 1917-1921 und dann endgültig nach dem Scheitern im spanischen Bürgerkrieg 1936, stürzte sie in eine tiefe Sinnkrise, aus der sie sich nicht mehr erholen konnten. Zitat aus “Erinnert euch an mich”, von Mark Zak, Seite 169-170.
“In den Dörfern, die die Machnowschtschina befreit, schlägt sie Plakate an, auf denen sie alle Arbeiterinnen der Umgebung informiert, dass die >>Revolutionäre Aufständische Armee im Dienste keiner politischen Partei, keiner Macht, keiner Diktatur<< steht. Im Gegenteil, es handelt sich um eine Armee, die versucht, >>das Gebiet von jeder politischen Macht, von jeder Diktatur zu befreien. … Gleichzeitig warnt die Armee … In Revolutionen, so heißt es, liegt die Macht auf der Straße. Die selbst gestellte Aufgabe der Machnowtschina lautete, sie dort liegen zu lassen – und sorge zu tragen, dass niemand anderes sie ergreift.”
Wer hat nach dieser Sachlage denn nun die Macht zu entscheiden? Offensichtlich eben diese anarchistische Armee mit ihren Waffen! Ganz offensichtlich sehen sie den Balken im eigenen Auge nicht! Einige der bekanntesten Vertretern des heutigen “Anarchismus”, den es als solchen natürlich nicht gibt, tendieren sehr oft und in sehr vernünftiger Weise zu einer Übereinkunft mit den Aussagen und Kritiken ihrer Positionen von Hanna Arendt, zu einer Volksherrschaft per Rätesystem. Diese Entwicklung ist sehr positiv und sollte aktiv gefördert werden. Dazu ist es sehr notwendig, Debatten darüber zu organisieren, was bisher im Namen des Anarchismus wirklich und praktisch passiert ist. Dazu empfehle ich auch das Buch von Hans Magnus Enzensberger „Der kurze Sommer der Anarchie“, welcher mit der Aufarbeitung dieses Themas sehr wohlwollend und sachlich umgegangen ist.
Zurückblickend auf die Geschichte,
erleben wir seit der französischen Revolution gegen den Absolutismus, einen dialektischen Macht-Diskurs, zwischen gegenüberstehenden Thesen und Antithesen, die unermüdlich nach einem neuen Verständnis der Macht und abschließender Lösung als neue Synthese suchen. Als einen solchen Diskurs kann man durchaus die Thesen des Reformismus, wozu ich letztendlich auch den Marxismus rechnen muss, und Antithesen der Vertreter des Anarchismus betrachten.
1. Die Thesen und Antworten der Reformisten auf den Absolutismus einer Person (König, Kaiser, usw.), ist die Diktatur einer Partei, ob nun mit oder ohne Parlament.
2. Die Antithese der Anarchisten ist die Zerstörung jeder Machtstruktur, auch die vom Volk selbst zu errichtende, was letztendlich immer zu einer Willkürherrschaft von anarchistischen “Warlords” geführt hat und auch immer wieder führen würde.
3. Was könnte die Synthese aus diesem Diskurs zwischen Kommunismus und Anarchismus sein? “Kommunistischer Anarchismus”, also eine Mischform aus der Diktatur einer Partei und der Willkürherrschaft von anarchistischen Warlords? Oder versuchen wir es mal mit
Radikaldemokratie, auf der ökonomischen Basis eines modernen Besitzrechtssystems.
J.M.Hackbarth