Geistiges Eigentum im Besitzrecht?

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Geistiges Eigentum im Besitzrecht?

vom 5. April ’23

In dieser Wochenschrift hat Jürgen Michael Hackbarth bereits mehrfach den Zusammenhang von Radikaldemokratie und Besitzrecht erläutert. Besitzrecht meint ein Rechtssystem ohne Eigentumsrecht. Zur Erinnerung: worin liegt überhaupt der Unterschied zwischen Besitz und Eigentum?

Besitz und Eigentum wird im Alltag oft nicht klar getrennt. Ein Beispiel ist der Haus“besitzer“. Im juristischen Sinne handelt es sich hier um den Hauseigentümer. Dieser hat die rechtliche Sachherrschaft über das Haus. Er kann das Haus verfallen lassen, es verkaufen, es vermieten oder auch selbst nutzen. Im letzten Fall ist er gleichzeitig der Hausbesitzer seines Hauses. Eigentümer und Besitzer fallen hier zusammen.

Bei einer Vermietung ist der Mieter Besitzer des Hauses. Der Besitzer hat die tatsächliche Sachherrschaft. Er hat die Schlüssel und kann das Haus nutzen. (Vgl. https://www.juraforum.de/lexikon/besitz#unterscheidung-besitz-eigentum)

Kurz gesagt lässt in unserer Gesellschaft mit Eigentumsrecht der Eigentümer andere für sich arbeiten.

Der Gedanke einer Gesellschaft ohne Eigentumsrecht erscheint zunächst ungewöhnlich. So wie einer Wohnungskatze der Aufenthalt im Freien neuartig ist. Selbstverständlich ist in einer Gesellschaft nur mit Besitzrecht zu regeln, wie der Besitz von einem Besitzer zum anderen Besitzer übergeht.

Somit sollte klar sein, dass das, was wir geistiges Eigentum an Texten, Erfindungen, Kompositionen, Fotografien etc. etc. nennen, im Besitzrechtssystem „nur“ geistiger Besitz sein kann. Die rechtliche Sachherrschaft entfällt, die tatsächliche Sachherrschaft bleibt. Also kann die Überschrift nur folgendermaßen lauten:

Geistiger Besitz im Besitzrechtssystem? Ein Wortwechsel zu dritt

Doch was war der Anlass für den folgenden Wortwechsel in einer kleinen, aber feinen Chat-Gruppe? Sowohl in dieser Wochenschrift als auch auf anderen Plattformen werden Zitate des öfteren nicht kenntlich gemacht bzw. nicht mit einer Quellenangabe versehen. Naturgemäß muss der Leser entweder davon ausgehen, dass das Geschriebene von irgendjemandem oder fälschlicherweise vom Autoren selbst stammt.

Aus dieser Situation entstand in der Chat-Gruppe folgender Wortwechsel, an dem ich nur kleine Veränderungen im Sinne einer besseren Lesbarkeit vorgenommen habe. Eine wirkliche Kürzung ist mir leider nicht gelungen.

Ich fordere alle Interessierten auf, diesen Wortwechsel fortzusetzen und ihre Ideen einzubringen.

T. Niemöller (TN): Selbst ohne Eigentumsrecht gibt es ja wohl noch sowas wie geistigen Besitz;-)

D. Düsentrieb (DD): Ja, selbst in einer eigentumslosen Gesellschaft wäre es m.E. nicht schicklich, die Arbeit anderer als die eigene auszugeben.

J. M. Hackbarth (JMH): Da müssen wir mal die Frage nach dem Motiv stellen. Das Motiv für eine solche Handlung hat unter den Bedingungen des Eigentumsrechts meistens eine andere Grundlage als unter den Bedingungen des Besitzrechts. Darf ich die Idee eines anderen Menschen unter den Bedingungen des Besitzrechts in Besitz nehmen? Was sollte der Urheber dagegen haben und auf der Grundlage welchen Rechts?

Geht es um einen ideellen Schaden oder um einen materiellen Schaden? Wie kann ein ideeller Schaden reguliert werden? Wie soll aber unter den Bedingungen eines modernen Besitzrechts Systems, aus der Besitznahme einer fremden Idee ein materieller Schaden für den Urheber entstehen? Wie soll die Besitznahme fremder Ideen verhindert werden, wenn der Urheber es wünscht und auf der Grundlage welchen moralischen Rechts verlangt er das?

Nehmen wir mal die Sprache, ihre Entstehung und Weiterentwicklung als Beispiel. Die Sprache ist ein ideales Objekt,    an dem alle Menschen mehr oder weniger beteiligt sind. Alle benutzen sie auf die eine oder andere Weise und jeder kann ein neues Wort erfinden, ohne es nur für sich reservieren zu können. Niemand stört sich daran und trotzdem gibt es auf Firmennamen und viele ähnliche Dinge, auf die ein alleiniges Nutzungsrecht im Eigentumsstaat gewährt wird.

Die Registrierung kostet um die 1.000 Euro beim Eigentumsstaat und wenn das erfolgt ist, schützt der Staat dieses Wort mit absoluter staatlicher Gewalt gegen jede vom Urheber nicht erlaubte Nutzung, weil es eventuell um einen zählbaren materiellen Schaden geht, der als Streitwert von der Staatsgewalt veranschlagt wird. Ohne einen solchen „Streitwert“, würde sich der Eigentumsstaat aber gar nicht um den Streit kümmern und die Klage abweisen.

Daraus wird klar, dass Arbeit im Eigentumsstaat nur relevant ist, wenn sie einen zählbaren materiellen Wert hat, den man mit einem Geldwert begründet darstellen kann. Die Grundlage dafür ist meistens die Arbeitszeit und die Lebenshaltungskosten der jeweiligen Arbeitskraft, die durchaus unterschiedlich bewertet wird, da sie unterschiedlicher sozialer Klassen angehören können. Das sehen wir ja auch bei der Berechnung der Tagessätze für Geld- und Haftstrafen.

Wie können wir also eine Klage eines Urhebers in einem Besitzrechtssystem behandeln, in dem die Arbeitskraft kein berechenbar Wert mehr hat, weil sie nicht mehr über einen Arbeitslohn vergleichbar ist. Sowie man Arbeit über eine Lohnabhängigkeit erzwingt, ist man sofort wieder in der Lohnsklaverei des Eigentumssystems.

Im Besitzrechtssystem der Indigenen arbeitet jedes Individuum freiwillig, oder eben nicht. Ganz ohne Bezahlung. Das Individuum wird mit seiner Leistung als Teil der Gemeinschaft für die Gemeinschaft akzeptiert, oder eben nicht.

Die Grundstruktur für einen Besitzrechtsstaat, wird auf Gemeinschaften von maximal 150 Individuen geschätzt, wo jeder den Anderen noch kennen kann. Das entspricht nicht nur den Erfahrungen der Indigenen, sondern auch denen der Kosaken, die nicht ethnisch verwaltet waren und aus Geflohenen leibeigenen Bauern verschiedener Ethnien entstanden. Auch die organisierten sich zu Hundertschaften in der Jeder Jeden recht gut kennt.

Denken wir also mal unter solchen Bedingungen einen Urheber, der eine Idee mit staatlicher Gewalt für sich allein „geschützt“ haben möchte. Wie wird die Gemeinschaft der 100, mit eigener Gerichtsbarkeit darauf reagieren? Wie soll sie darauf reagieren, wenn die Idee von anderen Gemeinschaften genutzt wird, wenn diese eine gemeinsame übergeordnete Gerichtsbarkeit geschaffen haben,    die Konflikte zwischen Gemeinschaften verhandeln soll? Wie konnte ein Urteil lauten und auf welche moralische Rechtsgrundlage kann es gefällt werden?

Da wir in einem Besitzrechtssystem nicht mehr auf staatliche Bestrafung setzen sollten, sondern nur auf Wiedergutmachung des entstanden Schadens, stellt sich folgende Frage: Was wäre wieder gut zu machen und wie?

Ich habe da folgenden Vorschlag: Wenn jemand eine Idee für die seine ausgibt und der wahre Urheber sich beschwert, klagt und sogar beweisen kann, dass er der Urheber ist, kann das Gericht dies nach Klärung des Sachverhaltes öffentlich bekannt geben. Das war’s?

Ein durch staatliche Gewalt exklusives Besitzrecht einer Idee, wie im Gewaltrecht der Eigentümer, mit der Absicht des Rechts auf exklusive Bereicherung Einzelner auf der Grundlage einer Idee (Patent), ist auf der Grundlage eines modernen Besitzrechts nicht möglich und auch extra nicht gewollt, weil wir dann in die asozialen Verhältnisse der Eigentumsgesellschaft zurück fallen, wo das Bereicherungsinteresse einzelner Eigentümer über das Interesse unserer sozialen Gemeinschaften gestellt wird.

DD: Danke für die tiefgreifenden Gedanken, Jürgen. Meine Aussage bezog sich allerdings nicht auf die rechtliche Schiene, sprich darauf, andere in irgendeiner Weise rechtlich für die Nutzung zu belangen. Weder materiell noch ideell. Ich denke in einem Besitzrechtssystem gibt es wesentlich sinnvollere Angelegenheiten als Urheberschaft, mit denen sich die Gerichtsbarkeit beschäftigen sollte.

Mir geht es allein um den moralischen Aspekt, sprich Anstand. Und da sehe ich schon einen Unterschied darin, ob jemand ein Werk, in dem jemand anderes viel Arbeit gesteckt hat, einfach nur verwendet, was m.E. völlig unproblematisch ist, oder ob er es als eigenes Werk ausgibt bzw. sich als dessen Schöpfer. Letzteres ist m.E. eine Lüge und Lügen halte ich in keinem Fall für erstrebenswert. Zumal ich denke, Anerkennung ist ein sehr wichtiges menschliches Bedürfnis und ihr Fehlen kann sehr hemmend für Motivation sein. Wenn ich deine letzten Aussagen lese denke ich, wir sind in dieser Hinsicht gar nicht so weit voneinander entfernt.

JMH: Während ein Denker denkt, kümmern sich andere Talente um seine sozialen Bedürfnisse, damit er nicht verhungert, erfriert, Zerstreuung hat usw. Auch Familie ist sehr wichtig!

Ich denke wir sind uns einig, aber ich beleuchte solche Dinge von allen erdenklichen Seiten, um den unterschiedlichen Kern der Frage zu erkennen, wenn man ihn in zwei verschiedene Rechtssysteme ansiedelt.

Ich denke, dass die Urheberschaft auch in einer Besitzrechtsgesellschaft sehr wichtig für die Gesellschaft ist und darum immer wahrheitsgetreu dargestellt werden sollte, um die Staatsbürger möglichst in die Lage zu versetzen, auch in Personalfragen möglichst qualifizierte Entscheidungen zu treffen. Wer sich dabei einer Lüge bedient, um eine Fähigkeit vor zu täuschen, der muss aussortiert werden.

TN: Vielen Dank für den moralisch bzw. rechtlichen Gedankenaustausch. Ja, durch meine kleine Anmerkung können wir richtig ins Grübeln kommen. Ich denke, dass in einer Besitzrechtsgesellschaft Patente, Markenschutz und geistiger Einzelbesitz obsolet sind. Dabei folge ich dem Argument Jürgens, dass geistiger Besitz nur aus der Gemeinschaft heraus entstehen kann bzw. auch unterstützt wird (Stichwort brotlose Kunst) und damit dieser Besitz der Gemeinschaft frei zur Nutzung (!) zur Verfügung stehen soll.

Vielleicht hilft uns die Lizenzierung nach den Creative Commons (laut wikipedia englisch für schöpferisches Gemeingut, Kreativallmende), die demjenigen, der den geistigen Besitz der Gemeinschaft aufzeichnet (also nur noch der Bote des geistigen Besitzes ist) festlegen kann, ob er die Nennung seines Namens verlangt.

Abhängig davon, ob der Bote für die geistige Aufzeichnung in Wort, Musik, Grafik, Foto etc. von den Nutzern seine Namensnennung verlangt (CC BY) oder nicht (CC 0), können dann sämtliche Nutzer der Aufzeichnung Rückmeldungen an den Boten geben oder auch nicht.

Die Lizenzierung für eine etwaige kommerzielle Nutzung wäre ausgeschlossen. Offen für mich ist noch der Punkt, in welcher Form bei verlangter Namensnennung Abwandlungen (Share Alike) zuzulassen sind…

JMH: … Mir persönlich ist egal, ob jemand meine Ideen als seine ausgibt. Ich merke das immer erst, wenn sie bei ihrem Publikum die Detail-Fragen nicht beantworten können und dann bei mir Nachschlag holen. Mir ist es ganz angenehm, wenn sich meine Ideen immer wieder verselbständigen und mir wieder als neue Idee angeboten werden, von Menschen die ich gar nicht kenne und die einen ganz anderen Ursprung der Idee nennen. Das freut mich immer wieder.

Ende des Wortwechsels.

Ich fordere alle interessierten Kreativen und alle nichtkreativen Interessenten auf, diesen Wortwechsel fortzusetzen und ihre Ideen einzubringen.

T. Niemöller
[Der Aufstand 19/23, Seite 10]

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Von Redaktion

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