Pandemie als Geschäftsidee

Created with GIMP

Pandemie als Geschäftsidee

Dr. Wolfgang Wodarg

[veröffentlicht als:
„Falscher Alarm: Die Schweinegrippe-Pandemie“ in BIG PHARMA, Mikkel Borch-Jacobsen Hrsg., Piper 2015, S. 310 ff]

Auszüge:

„Um den Absatz ihrer patentierten Pillen und Impfstoffe gegen Influenza zu steigern, haben pharmazeutische Unternehmen Wissenschaftler und Normen im öffentlichen Gesundheitswesen zuständige Behörden beeinflusst, Regierungen weltweit in einen Alarmzustand zu versetzen. Sie haben diese dazu bewegt, knappe gesundheitliche Ressourcen für ineffiziente Impfstrategien zu verwenden und Millionen gesunder Menschen dem Risiko unbekannter Nebenwirkungen unzureichend getesteter Impfstoffe auszusetzen…“

So lautete der Text des Antrages der unter der Überschrift „Faked Pandemics – a threat for health“1 vom Europarat eine Untersuchung jener Vorgänge einforderte, die zur erstmaligen Ausrufung einer Pandemie durch die UN-­‐Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf geführt hatten. Einer „Pandemie“, die schon im europäischen Spätsommer 2009 als harmlose Grippe erkennbar war, die aber von der WHO, vielen nationalen Experten und von vielen Medien bis weit in das Jahr 2010 hinein weiterhin beharrlich als gefährliche Seuche dargestellt wurde.

Alarm wegen eines Fehlalarmes

Die Initiative beim Europarat schien die einzige Möglichkeit zu sein, um die nötige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf eine Fehlentwicklung zu lenken, die schon einige Jahre zuvor aufgefallen war. Die Ausrufung einer „Pandemie“ am 11. Juni 2009 durch die Generalsekretärin der WHO Margaret Chang machte das Maß voll.

Neben dem Berichterstatter des Europarates, meinem Kollegen Paul Flynn2, waren es besonders die Investigationen der Journalisten des British Medical Journal (BMJ) Deborah Cohen und Philip Carter sowie die Wissenschaftler Tom Jefferson (The Cochrane Collaboration) und Peter Doshi (Johns Hopkins University), die der Sache schon sehr früh auf den Grund gingen.

Nachdem inzwischen viele Publikationen zum Thema H1N1 Pandemie erschienen sind, der Evaluationsbericht der WHO vorliegt und die riesigen Mengen von nicht benötigten Impfstoffen und Antigrippemitteln verfallen, an arme Länder verkauft und zum größten Teil vernichtet worden sind, möchte ich hier schildern, wie es zu dieser Verunsicherung staatlicher Gesundheitsdienste und der Weltöffentlichkeit kommen konnte und welche Akteure und Organisationen im Hintergrund mitgewirkt haben.

Die Gesundheitsbehörden, die WHO, die Pharma-­‐Industrie als Protagonistin der Wirtschaft, die Wissenschaft mit ihren Fachgesellschaften, Instituten und Experten, die Medien, ohne die wir von alledem gar nichts bemerkt hätten und nicht zuletzt die Politik, die für eine florierende Wirtschaft ebenso zu sorgen hat, wie für die Freiheit von Wissenschaft und Medien und für die Gesundheit der Bevölkerung, sie alle haben ihren Anteil an diese Entwicklung.

1 – PACE Doc. 12110, 18 December 2009, Faked Pandemics – a threat for health, Motion for a recommendation presented by Mr Wodarg and others
2 – Conseil de L’Europe, Assemblée Parlementaire, Doc. 12283, 7 June 2010,The handling of the H1N1 pandemic: more transparency needed, Report: Social Health and Family Affairs Committee, Rapporteur: Mr Paul FLYNN, United Kingdom, Socialist Group

(…)
(…)

Die WHO lässt sich kaufen

Die WHO als oberste Seuchenwächterin hat sich früher viele Verdienste um die Bekämpfung und Ausrottung ansteckender Erkrankungen erworben und hat auch einen heldenhaften Einsatz gegen den Gesundheitsschädling Nr. 1 geleistet. Ohne den von Gro Harlem Brundtland mit viel Energie geführten Kampf gegen die Tabak-­‐Lobby und ihre käuflichen Protagonisten in Wissenschaft, Medien und Politik hätten wir jetzt nicht das hochwirksame Instrument der Internationalen Tabak-­‐Rahmenkonvention.

Ende der 70ger Jahre hatte die WHO sich heldenhaft gegen die sich ausbreitende Verdrängung des Stillens in Entwicklungsländern durch die Milchpulver-­‐Industrie und für Schaffung einer Liste mit essentiellen Arzneimitteln eingesetzt, zu denen auch armen Ländern der Zugang gesichert werden müsse. Beide Projekte hatten die in den USA ansässigen Lobbyisten der betroffenen Industrien verärgert. Die USA werteten daraufhin ihre wirtschaftlichen Interessen höher als die öffentliche Gesundheit und strichen aus Protest ihren Finanzierungsanteil an der WHO.7

Die Wirtschaft hat einen unumstößlichen Code. Sie lebt vom Wettbewerb um den Verkauf möglichst vieler Waren und Dienstleistungen mit dem Ziel möglichst hoher privater Gewinnschöpfung. Auch die Pharma-­‐Konzerne produzieren ihre Medikamente oder Impfstoffe primär nicht deshalb, weil Kranke diese benötigen, sondern weil sie Gewinn bringend vermarktet werden sollen. Sie sind zumeist Kapitalgesellschaften und müssen das tun, was ihre Geldgeber von ihnen erwarten: Sie sollen das in sie investierte Kapital möglichst gut vermehren. Für die gesundheitlichen Probleme armer Länder sind solche Unternehmen deshalb nur dann zu gewinnen, wenn sie auch eigenen Nutzen erwarten.

Die WHO war aber ohnehin chronisch knapp bei Kasse und wurde von vielen staatlichen Trägern als lästige Pflicht gesehen. Entsprechend der Global Compact Direktive des UN-­‐Generalsekretärs Kofi Annan begann also die WHO Generalsekretärin Gro Harlem Brundtland für eine Public Private Health Partnership (PPHP) zu werben und lud 2001 auf dem Wirtschaftsforum in Davos die dort versammelten Konzernchefs ausdrücklich zur Partnerschaft ein. Sie sprach von einer exzellenten Möglichkeit für praktischen Erfahrungsaustausch, welcher die Unternehmen zu weiterem öffentlichem Engagement inspirieren könne. Sie sei froh, für die WHO eine solche Initiative zu unterstützen.8

Das Transnational Resource & Action Center (TRAC, www.corpswatch.com) veröffentlichte schon im September 2000 einen alarmierenden Bericht unter dem Titel „Tangled up in Blue“9, in dem vor der systemfremden Einflussnahme großer multinationaler Konzerne wie Bayer, Rio Tinto, Shell, Aventis, Novartis und anderer auf die UN-­‐Organisationen gewarnt wurde.

Auch in einem 2001 von der WHO sebst veröffentlichten Assessment ihrer PPHP wurde von den Autoren Kent Buse und Amalia Waxman unter dem Titel „Public–private health partnerships: a strategy for WHO“10 eindringlich vor den möglichen Schäden einer solchen Kooperation für die öffentliche Gesundheit und die Glaubwürdigkeit der WHO gewarnt. Die Autoren schilderten Beispiele für Interessenkonflikte und Einflussnahmen und empfahlen schon damals äußerste Vorsicht und große Transparenz bei der Zusammenarbeit mit diesen viel stärkeren Partnern aus der Wirtschaft.

Big Pharma definiert Krankheit neu

Big Pharma hat sich die Möglichkeiten einer Instrumentalisierung der WHO für die eigenen Interessen natürlich nicht entgehen lassen. Die Arzneimittel-­‐Lobby saß seit jener Zeit in Genf mit am Tisch und konnte wirksamer dafür sorgen, dass neue Absatzmärkte für ihre Medikamente entstehen und dass ihre Patent-­‐Monopole nicht von ärmeren Staaten oder Schwellenländern in Frage gestellt wurden. Auch bestückte die Industrie normsetzende Gremien der WHO mit ihr nahestehenden Experten. Dadurch war es ihr möglich, direkten Einfluss auf global gültige Definitionen zu nehmen, nach denen eine Störung oder Krankheit als behandlungsbedürftig angesehen wird oder nicht.

So soll die Arzneimittellobby zum Beispiel für eine Absenkung der Normwerte für Blutdruck gesorgt haben, damit die Zahl der Behandlungsbedürftigen hochschnellt11. Die Beeinflussung der Definition von Normwerten ist für die Arzneimittelindustrie eine sehr attraktive Möglichkeit der Expansion ihrer Geschäftsfelder. Zum Beispiel führte die Absenkung der Normwerte für Cholesterin von 240 auf 200 mg/dl allein in den USA zu einer Erhöhung der Zahl der „Therapiebedürftigen“ um 86% -­‐ ein Riesengeschäft für die Hersteller von Statinen und anderen Cholesterinsenkern12.

Der Trick mit der Beeinflussung von weltweiten Gesundheitsnormen durch gekaufte Experten hatte sich offenbar so gut bewährt, dass er dann auch in Sachen Influenza genutzt werden konnte. Die Leitung der WHO war sich zumindest in den ersten Jahren des grundsätzlichen Interessenkonfliktes zwischen Public Health und Wirtschaft bewusst und hat immer wieder versucht, Interessenkonflikte durch administrative Gegenmaßnahmen zu neutralisieren. Spätestens aber unter der Leitung von Dr. Margaret Chan wurde die Praxis dieser„Kontrollen immer mehr zur Farce, wie aus dem Bericht des British Medical Journal von 201013 deutlich wird.

6 – Pandemic Influenza Preparedness and Response: A WHO Guidance Document. Geneva, World Health Organization, 2009, p. 7Godlee F. Conflicts of interest and pandemic flu. BMJ 2010; 340: c2947- doi: 10.1136/bmj.c2947 pmid: 20525680 . http://www.who.int/director-general/speeches/2001/english/
8 – 20010129_davosunequaldistr.en.html Tangled up in Blue – Corporate Partnerships at the United Nations,
9 – http://www.corpwatch.org/un . Bulletin of the World Health
Organization, 2001, 79: 748–754.
10 – 888 Haus- und Fachärzte, Pharmakologen und Wissenschaftler aus 58 Ländern veröffentlichten am 16.03.1999 im Internet einen
11 – Brief an die General-Direktorin der WHO, Frau Gro Harlem Brundtland (http://www.uib.no/isf/letter/ ), in sie ihre Bedenken gegenüber den von der WHO festgelegten niedrigen Blutdruck-Grenzwerten äussern: „Wir fürchten, dass die neuen Empfehlungen dazu benutzt werden, einen steigenden Verbrauch von blutdrucksenkenden Medikamenten zu fördern, mit hohen Kosten und geringem Nutzen.“

Fear Mongering14 -­‐ mit Hilfe der Sensationspresse Geschäfte machen

Die höchsten Preise für Medikamente sind dann zu erzielen, wenn Patienten nach dem letzten Strohhalm suchen, wenn sie also in ihrer Angst und Not bereit sind, ihr Vermögen für etwas hinzugeben, was ihnen vielleicht doch noch Linderung oder Genesung verspricht. Krebskranke, oder andere Patienten mit Angst oder chronisch-­‐quälenden Beschwerden sind deshalb bevorzugte Zielgruppen der Arzneimittelindustrie.

Aber wenn Patienten keine Angst haben, dann muss ihnen diese eben durch sensationsträchtige Berichte, unkritische Kommentatoren und aufrüttelnde Bilder gemacht werden. Wie wir seit der Vogelgrippe wissen, funktioniert diese Strategie offenbar auch auf dem Umweg über die Politik , die sich dann genötigt sieht, für ihre verängstigte Bevölkerung Pillen und Impfungen zu bestellen.

Hier kommt den Massenmedien als Marketing-­‐Gehilfe der Pharma-­‐Branche eine große Bedeutung zu. Politiker sind primär an ihrem Machterhalt interessiert. Sie müssen deshalb immer darauf achten, was die Mehrheit ihrer Wählerinnen und Wähler wohl von ihnen erwarten würde. Wenn es einer Angst-­‐Marketing-­‐Kampagne gelingt, in der Bevölkerung so viel Angst zu schüren, dass diese von der Politik mehrheitlich ein rettendes Eingreifen erwartet, so ist das Geschäft sicher und die Aktienkurse steigen. Bei militärischen Konflikten sind es die Aktien der Sicherheits-­‐ und Rüstungsindustrie und bei Seuchengefahr profitiert die Pharma-­‐Branche, die sich auf solche „Nothilfe“ spezialisiert hat.

Nicht zufällig wurde James Murdoch, ein Sohn des Medienmoguls Rupert Murdoch im Mai 2009 in den Vorstand des Grippe-­‐Impfstoff und Relenza® -­‐Herstellers GlaxoSmithKline berufen15. Angst lässt eben nicht nur die Nachfrage nach Medikamenten steigen sondern nebenbei auch noch die Auflagen und Einschaltquoten der Medien, welche diese Angst verbreiten.

12 – Welch, Gilbert et al. 2011, Overdiagnosed, P 24.
13 – BMJ 2010; 340:c2912, http://www.bmj.com/content/340/bmj.c2912.extract
14 – Verbreitung unbegründeter Ängste
15 – GSK Annual Report 2010, www.gsk.com/corporatereporting

(…)

(…)

[vollständiger Artikel hier: https://www.wodarg.com/publikationen/]

Auszüge hier eingereicht vom Holger Thurow-N.
[Der Aufstand 13/23, Seite 7]

Avatar-Foto

Von Redaktion

Die Redaktion wird gestellt vom Ortsverein „Gesellschaft der Gleichen“ des UMEHR e.V. mit der Zielstellung, die öffentliche Debatte durch radikaldemokratische Prinzipien zu fördern. Sie erstellt die Publikationen auf PDF und stellt die Beiträge hier online. Die Redaktion ist nicht Autor der Beiträge. Die Autoren sind unter ihren Beiträgen auf den Beitragsseiten zu finden. Eingereichte Beiträge geben nicht die politische Position der Redaktion wieder. Eingereichte Beiträge von Parteien bedeuten nicht, dass die Redaktion Mitglied dieser Partei ist oder Positionen dieser Partei vertritt. Jeder Autor ist für seinen Beitrag selbst verantwortlich.

5 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert