Zur Debatte über die Revolution –linke Diktatur oder Radikaldemokratie

Fotomontage: links Alexandre de Moraes, Bildquelle hier,
rechts Ausschnitt aus dem Buchcouver „Über die Revolution“
[Der Aufstand 08/25, Seite 11]

Zur Debatte über die Revolution –
linke Diktatur <oder> Radikaldemokratie

in der Diskussion mit Noel Nascimento Filho

Die öffentliche Debatte zwischen mir und Noel entbrannte aufgrund von Noels Behauptungen über Hannah Arendt, die er in einem Artikel für „info-welt.info“ unter der Überschrift „Bolsonaros Militärputsch – Teil 2“ veröffentlichen ließ und auch hier in der Wochenzeitung für die Debatte anbot (siehe hier). Dieses Angebot hat die Redaktion gern angenommen. Ursprünglich entzündete sich die Debatte in der „Offenen Versammlung“, an der Noel per Zoom teilnahm (siehe auf Seite 2 der letzten Ausgaben „Der Aufstand“), wo er für Zensur eintrat, und in der Inhalte aus dem Buch „Über die Revolution“ von Hannah Arendt durch andere Teilnehmer zur Sprache kamen. Noel gab an, das Buch gelesen zu haben, vermeidet aber notorisch Zitatangaben in seinen Behauptungen zur Person Hannah Arendts, über die er verbreitet, Zitat: „Hannah Arendt war rechts.“ Das ist genauso falsch wie zu behaupten, sie wäre links gewesen und es ist unmöglich bei ihr Zitate zu finden, mit denen sie sich rechts oder links einordnen lässt. So erklärt sich Noels Unterlassung ganz logisch, seine Behauptungen zu belegen. Dafür redet er sich heraus, mit: „Mir geht es nie darum, Texte zu lesen und sie nachzuplappern.“

In dem Buch „Über die Revolution“ lassen sich Belege dafür anführen, dass sie radikaldemokratische Positionen vertreten hat und in der Radikaldemokratie gibt es kein Links und kein Rechts, denn der Kern eines jeden radikaldemokratischen Rätesystems besteht in der Selbstgesetzgebung der Gesetzesunterworfenen, welches die Bürgerentmündigung durch ungebundene Mandate verbietet und somit ein derartiges Parlament, wie wir es aus den Repräsentationssystemen kennen und in denen angeblich die „Guten“ links und die „Bösen“ rechts sitzen, unmöglich macht.

Eine zweite Komponente für den Antrieb zur Debatte über die Revolution ist ein psychologisches Problem, das nicht nur bei Noel beobachtbar ist. Es besteht in der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus der politischen Wende vom „Sozialismus“ zum Kapitalismus, die sich bei den Apologeten des Marxismus als die Realitätsverweigerung niederschlägt, dass die Theorie von der „Diktatur des Proletariats“ die Grundlage für einen politischen Betrug bildete, der darin bestand, mit dieser Theorie Diktaturen von Parteiführern ideologisch zu begründen, mit den großen Vorsitzenden an der Spitze, die aufgrund des aus dem Parteien-Zentralismus systemisch angelegten Personenkults natürlich immer zu wahren Gottheiten für ihre Untertanen aufgestiegen sind, was wir jetzt immernoch in Nordkorea beobachten können und die Bilder von Xi in China immer größer werden lässt. So etwas gibt es in einem radikaldemokratischen Rätesystem ebenso wenig wie ein „Links“ oder „Rechts“. Nach dem Zusammenbruch dieser Form des real existierenden „Sozialismus“, den das Proletariat (die Lohnabhängigen) zum Ausgang des letzten Jahrhunderts als ein Vormundschafts-System abschüttelte, leiden die Apologeten des Marxismus an dieser Form des PTBS und verweigern immernoch, den Dogmatismus dieser politischen Theorie grundlegend in Frage zu stellen. Die Klasse der Lohnabhängigen (das Proletariat), hat niemals eine Diktatur ausgeübt, niemals eine solche gefordert, und braucht diese auch gar nicht, sondern Lohnabhängige, die die absolute Mehrheit aller Bevölkerungen in allen Staaten dieses Planeten stellen, können durch Mehrheitsbeschlüsse in einem radikaldemokratischen Rätesystem, jede soziale Ungerechtigkeit einfach hinwegfegen. Die Klärung der sozialen Frage ist dann nur noch eine technische Frage. Aber die politische Frage ist eine Machtfrage und kann nur über eine revolutionäre Verfassung geklärt werden. Eine Verfassungsänderung ist ein friedlicher Akt. Die theoretischen Grundlagen darüber können unter anderem hier nachgelesen werden: https://radicaldemocrat.news/2023/05/12/friedliche-revolution-in-die-freiheit-und-eine-wehrhafte-demokratie/

Die absolute Mehrheit will Demokratie (Herrschaft des Staatsvolkes) und keine Diktatur. Das! ist die historische Lehre aus den politischen Ereignissen zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein Staatsvolk kann auf demokratischem Wege, durch Gesetzgebung, jegliche Zwangsherrschaft beenden und eine Wende zu einer klassenlosen Gesellschaft herbeiführen, wenn es in freier Entscheidung eine entsprechende Verfassung verabschiedet. Revolutionäre Veränderungen der bestehenden Verfassungen liegen erstens darin, das Eigentumsrecht als Grundlage der Lohnsklaverei durch Besitzrecht als Basis der Verwirklichung der Menschenrechte zu ersetzen, sowie zweitens das imperative Mandat zu beschließen, sodass Abgeordnete an Aufträge und Weisungen des Staatsvolkes gebunden werden. Das ist natürlich nur möglich, durch die gleichberechtigte Teilnahme an der Verfassung. Diese gleichberechtigte Teilnahme betrifft selbstverständlich sowohl die Möglichkeit der gleichberechtigten Teilnahme an allen Verhandlungen zu den Wortlauten der Artikel einer Verfassung, als auch die gleichberechtigte Möglichkeit sie in freier Entscheidung zu beschließen. Eben darin besteht die ganze, vom Charakter her stets gewaltfreie Revolution. Es geht im Kern also um die Legitimation einer Verfassung.

Genau daraus, dass alle Menschen gleichberechtigt die Verfassung entwerfen und beschließen können, der sie sich freiwillig unterwerfen wollen, entspringt die Legitimation einer Verfassung. Alle anderen „Verfassungen“ begründen eine Zwangsherrschaft und sind dem gemäß, illegitim.

Wir sind jetzt den jeweiligen Verfassungen und allen daraus abgeleiteten Gesetzen unterworfen, obwohl wir niemals die Gelegenheit hatten daran mitzuwirken. Das gilt für Noel in Brasilien genau so wie für mich hier in Deutschland. Es wäre völlig lächerlich in Abrede zu stellen, dass wir dem staatlichen Zwang unterliegen, die Gesetze befolgen zu müssen, die fremde Menschen erdacht und beschlossen haben. In Deutschland sind wir gezwungen eine Verfassung von Toten zu befolgen. Und natürlich ist es ratsam, sich dem Zwang bzw. dem „Recht“ des Stärkeren zu beugen, aber gleichwohl ist es legitim für eine legitime Verfassung zu werben und das deutsche Grundgesetz sieht das sogar ausdrücklich in Artikel 146 vor, Zitat:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Dieser Artikel entstammt dem Einfluss der amerikanischen Besatzungsmacht auf das Grundgesetz und hier kann man sogar sagen, er ist als Hintertür zur Freiheit ein Vermächtnis aus der amerikanischen Revolution. Eine Entsprechung zu diesem Artikel findet sich in der brasilianischen Verfassung nicht. Aber Noel lobt sie mit folgenden Worten, Zitat:

Sie wurde mit Anteilnahme von verschiedenen Institutionen und deren unterstehenden Räte debattiert, die schließlich nach einem ermüdenden Jahr abgeschlossen waren, und in der alle Interessierten sich beteiligen könnten. Es sind weder Holger noch Radikaldemokraten, die ohne Kenntnis über die Geschichte dieses Landes reden, die es abstreiten können. Als Brasilianer unterstehe ich diese Verfassung, wie jeder andere, der in Brasilien lebt, zu Besuch kommt oder hier auf irgendeine Art und Weise tätig ist. Mir geht es nicht anders, wenn ich mich in Deutschland oder anderswo aufhalte.“

Unsere Unterwerfung unter die jeweiligen Verfassungen streitet niemand ab. Aber welche Institutionen und welche Räte haben neben der verfassungsgebenden Versammlung, die Noel vergessen hat zu erwähnen, die Verfassung Brasiliens mit entworfen und mit beschlossen? An wessen Aufträge und Weisungen waren denn die Abgeordneten der verfassungsgebenden Versammlung Brasiliens gebunden? Es hat doch keinen Zweck eine Nebelkerze aufzustellen um das Repräsentationssystem schön zu reden, wenn die historischen Fakten ganz klar auf der Hand liegen und jederzeit schnell über das Internet nachgelesen werden können.

Die brasilianische Verfassung wurde von einer verfassungsgebenden Versammlung, die aus nur 558 Abgeordneten bestand, für rund 146 Millionen Menschen entworfen und beschlossen und trat am 5. Oktober 1988 in Kraft (sie wurde 115 Mal geändert). Oder stimmt das nicht? Die Abgeordneten der verfassungsgebenden Versammlung Brasiliens von 1987 bis 1988 hatten ein von den Wählern entbundendes Mandat (freies Mandat). Das bedeutet, dass sie nicht an Aufträge und Weisungen aus der Bevölkerung gebunden waren. Stimmt das oder nicht?

Das deutsche Grundgesetz wurde von einem Parlamentarischen Rat, der aus 65 Mitgliedern bestand, für rund 68 Millionen Menschen am 23. Mai 1948 beschlossen und ist seit dem (es wurde 60 Mal geändert) gültig. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates wurden durch die Landesparlamente entsandt und waren nicht von der Bevölkerung gewählt worden. Das Zustandekommen des Grundgesetzes war also noch undemokratischer.

Wir haben in beiden Verfassungs-Verfahren eine Stellvertretung der Verfassungsunterworfenen, durch Abgeordnete, die nicht an Aufträge und Weisungen der Verfassungsunterworfenen gebunden waren. Das bedeutet Bürgerentmündigung. In dem Zusammenhang möchte ich eine weitere radikaldemokratische Akademikerin erwähnen, die sich mit dem Problem der Bürgerentmündigung befasste und nachgewiesen hat, dass der Begriff Volkssouveränität an die Selbstgesetzgebung der Gesetzesunterworfenen gebunden ist und nur dadurch Freiheit und Menschenrechte gesichert werden kann. Ihr Name ist Ingeborg Maus.

Das Problem der Bürgerentmündigung ist also zumindest auf der akademischen Ebene in Deutschland ein Thema und wird von Rainer Mausfeld in seinen Vorträgen immer wieder behandelt. Rainer Mausfeld hat dabei die Brücke von der akademischen Ebene zur breiten Öffentlichkeit übernommen und seine Verdienste als Werber für die Ideen der Aufklärung, die die Idee der Radikaldemokratie beinhalten, können nicht hoch genug gewürdigt werden, denn es ist mutig, Elemente der Radikaldemokratie populär zu machen und damit das entmündigende Stellvertretersystem zu delegitimieren, welches die Ideologen der Herrschenden „Repräsentative „Demokratie““ nennen und welches ich Repräsentationssystem nenne, weil das Wort „Demokratie“ nichts in der Bezeichnung für eine Zwangsherrschaft zu suchen hat.

Ich hatte Noel in meinen Kommentaren auf seinen Artikel zu „Bolsonaros Militärputsch“ einen neuralgischen Punkt in der brasilianischen Verfassung genannt, der sich im Wesen mit dem des deutschen Grundgesetzes deckt. Dabei geht es um das sogenannte Freie Mandat, das Abgeordnete vom Wählerwillen entbindet. Das Freie Mandat ist im deutschen Grundgesetz in Artikel 38 – und in der Verfassung Brasiliens von 1988 in Artikel 53 festgelegt. Eine revolutionäre Änderung wäre, an diesen Stellen das imperative Mandat festzulegen, sodass Abgeordnete an Aufträge und Weisungen des Staatsvolkes gebunden werden. Der zweite neuralgische Punkt, der einer revolutionären Änderung bedarf, ist das Eigentumsrecht, welches im Deutschen Grundgesetz in Artikel 14 in Absatz 1 lautet:

„Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“

Eine revolutionäre Änderung müsste lauten:

„Der Besitz wird gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“

In der brasilianischen Verfassung von 1988 ist das Eigentumsrecht in Artikel 5, Absatz XXII festgelegt und lautet dort:

„Das Eigentum ist garantiert.“

Eine revolutionäre Änderung müsste hier lauten:

„Der Besitz ist garantiert.“

Vielleicht ist Noel gar nicht aufgefallen, dass ich mich nur an Fakten halte, welche zu wissen ich Brasilien gar nicht besuchen muss und kein anstudiertes Spezialwissen benötige. Das betrifft auch die Tabelle über die brasilianischen Oligarchen und ihre Geschäftsbeziehungen zu den USA, die natürlich, und darauf hatte ich hingewiesen, nicht vollständig ist und anschließend schrieb: „…wer einen Artikel über die politischen Verhältnisse in Brasilien verfassen möchte wäre gut beraten, zu ergründen, welche Parteien und welche Politiker sie finanziell unterstützen. Erst wenn man das weiß, weiß man wirklich Bescheid. Denn die Korruption ist der Mörtel, der das politische Gebilde jedes Repräsentationssystems zusammen hält.“

Darauf antwortet Noel, Zitat:

„Schlimmer noch ist es dass Holger nicht zu wissen scheint, dass die erwähnten brasilianischen Milliardären die er ausführt nicht im geringsten zum Progressivismus stehen und im Kongress in der Hauptstadt Brasilia Lobbyisten bezahlen, die die Liberalen und die Mitte Parteien wie das brasilianische Agro- Geschäft und Bolsonaro unterstützen.“

Noel weiß also Bescheid über die Rolle des brasilianischen Repräsentationssystems als Machtbasis der reichsten Eigentümer Brasiliens, welches sich prinzipiell nicht vom Lobbyismus der westlichen Repräsentationssysteme unterscheidet und in der Verfassung zementiert ist. Zur Abwesenheit des Progressivismus bei brasilianischen Oligarchen hatte ich mich gar nicht geäußert. Das ist auch nicht nötig, denn kein Kapitalist kann sich bei Strafe seiner Pleite leisten, gegenüber dem Profit, irgend einer moralischen Einstellung das Primat einzuräumen. Allein schon seine moralische Anklage, dass Großeigentümer es an Progressivismus mangeln lassen, deutet auf ein prinzipielles Unverständnis der ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus hin. Es geht im Eigentumsrecht niemals um Moral, sondern um Profit und am profitabelsten sind die unmoralischsten Geschäfte überhaupt. Moral und Profit verhalten sich im Kapitalismus immer umgekehrt proportional. Je mehr Moral umso weniger Profit, je mehr Profit umso weniger Moral. Genau daraus entspringt die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft und aller ihrer Regierungen. Soviel zum beklagten Mangel an Progressivismus.

Worin sieht Noel aber nun einen Gegensatz zu meiner Position? Vielleicht kann er das nochmal erklären, oder die Übersetzung von Deutsch in Portugiesisch ist in seinem Kopf einfach nur fehlerhaft. Missverständnisse kann man aber immer aufklären.

Mehr als missverstanden ist folgende von Noels Behauptungen, Zitat:

Der Exodus vom Ackerland ist ein typisches Phänomen Brasiliens, das zur weiteren Bildung der bekannten Favelas der Großstädte. Und er hat seine Ursprünge im Eigentum der Großgrundbesitzer und im heutigen Agro-Geschäft, die Holger mit Bolsonaro verteidigt.“

In welcher Textstelle verteidige ich das Eigentum der „Großgrundbesitzer“ (Großgrundeigentümer)? Vielleicht kann Noel mir das in seiner nächsten Antwort aufzeigen, am besten indem er mich zitiert. Sonst muss ich ihm leider üble Nachrede in Form einer Lüge bescheinigen. Das erinnert mich schon wieder an die Methoden der System-Linken in Deutschland und Noels Hinweis, Zitat:

System Links! Eine mehr als merkwürdige Bezeichnung.“

Des Merkens würdig, darf man wörtlich nehmen. Die Bezeichnung System-Links ist logisch mit Aktivismus für 1. die linke Seite im Parlament, 2. das Repräsentationssystem, und 3. für das Eigentumsrecht und den daraus erwachsenden Konsequenzen einer Zwangsherrschaft, begründet. Noel verteidigt die Zensur des obersten Richters Moraes. Ausräumen kann er seine systemlinken Positionen nur selbst, indem er Position gegen das Repräsentationssystem und gegen das Eigentumsrecht bezieht, was er bisher nicht getan hat. Die politische Bildung dafür, müsste er sich unter anderen auch im Buch „Über die Revolution“ von Hannah Arendt anlesen, was er gelesen haben will, nur offensichtlich nicht verstanden hat, ebenso wenig wie er meinen Text verstanden haben kann. Aus seinem Unverständnis fällt ihm folgendes besonders leicht, Zitat:

Mir fällt es aber leicht, den unglaublichen Widerspruch zu entkräften, der nur aus einem für mich verständlichen Grund erklärbar ist, wenn der reichste Ausbeuter der Welt ausgerechnet von denjenigen verteidigt wird, die sich gegen das Eigentum stellen.“

Mit „denjenigen“ meint er uns Radikaldemokraten, insbesondere mich, und unterstellt uns, wir würden die Positionen von Elon Musk für Ausbeutung und Unterdrückung, verteidigen. Ist Noel in seinem Denken schon einmal das Wort „Differenzierung“ begegnet? Auf Portugiesisch heißt das „diferenciação“, das Verb differenzieren, heißt auf Portugiesisch „diferenciar“ (google-Übersetzung). Dabei sind wir bei einem weiteren Merkmal der System-Linken, dem GutundBöse-Denken. Dieses einfältige Denkmuster negiert, dass Menschen niemals nur eine einzige, sondern stets mehrere widersprüchliche Positionen in ihrem Kopf hin und her wälzen, und zwar sowohl altruistische als auch egoistische, die, wenn man sie auf der politischen Ebene in links und rechts sortieren möchte, eigentlich offenbaren, dass System-Linke in Wahrheit rechte Positionen verteidigen und die System-Rechten nur nicht lügen möchten. Elon Musk positioniert sich für die Redefreiheit, auf X, und auch in den Repräsentationssystemen. Das ist für Radikaldemokraten eine unterstützenswerte Position. Sein Eintreten für Ausbeutung der Lohnsklaven auf Basis des Eigentumsrechts natürlich nicht und ist von der Position der Redefreiheit zu differenzieren.

Einfältiges GutundBöse-Denken basiert auf der Unfähigkeit, einzelne politische Positionen von der Person getrennt zu behandeln. Wir haben es hier mit einem Mangel an Abstraktionsvermögen zu tun und das ist eine Denkfähigkeit, die nicht nur Vertreter der System-Linken vermissen lassen, sondern natürlich auch Vertreter der System-Rechten. Für die Linken sitzen die Bösen rechts und für die Rechten sitzen die Bösen links. Genau das ist der Dynamo für die Gewaltspirale, die beide Seiten antreiben und Bolsonaro ist ein grandioses Beispiel dafür, aber Noel reagiert leider mit der gleichen Unfähigkeit, nämlich mit persönlichem Hass, anstatt die politischen Positionen von Bolsonaro als Vertreter des rechten Kleinbürgertums zu analysieren und in der lohnabhängigen Bevölkerung zu verbreiten. Das nennt man Aufklärung, und daran hat es offensichtlich gemangelt, denn sonst hätte Bolsonaro nicht Präsident werden können. Noel schreibt selbst: „Politische Ambitionen habe ich nie besessen.“ Aber Artikel gegen Radikaldemokraten zu schreiben, dafür hat er dann doch noch genug Ambitionen.

Die Resultate des GutundBöse-Denkens sehen wir in der Geschichte immer wieder und Bolsonaros Putschversuch gehört auch dazu. Ambitionierte des rechten Kleinbürgertums streben stets eine Diktatur an, genauso wie die Ambitionierten des linken Kleinbürgertums, die sie dann „Diktatur des Proletariats“ nennen. Gewaltbereitschaft dafür, auf beiden Seiten, begründet den Extremismus.

Noel kann politische Positionen offensichtlich nicht einzeln und daher von der Person getrennt einer differenzierten Kritik unterziehen, und somit nur zwischen Gut und Böse unterscheiden, so wie ein Regenwurm nur Hell und Dunkel unterscheiden kann. Das unterstellt er dann auch anderen und so glaubt er, dass ich die soziale Herkunft aus dem Kleinbürgertum bewerte und für böse halte. Die Angehörigkeit zu einer Klasse gibt nur über die Stellung zum Eigentum Auskunft, und damit über die Unterwerfung unter das- oder die Partizipation vom Lohnsklavensystem, aufgrund von Eigentumsrecht. Noel schreibt: „Meine Familie stammt aus dem brasilianischen Kleinbürgertum.“ Genauer ist zu sagen, sie entstammt dem Bildungsbürgertum. Das Bildungsbürgertum stellt das Personal, sowohl für das Rechtssystem, als auch für die ideologische Begründung der Macht der reichsten Eigentümer in den Bildungseinrichtungen. In dieser privilegierten Schicht des Kleinbürgertums, lässt sich generell ein instinktives ideologisches klammern am Eigentumsrecht beobachten, was aufgrund der instinktiven Verteidigung ihrer privilegierten Stellung auch logisch nachvollziehbar ist. Daraus erklärt sich auch Noels Lob für die brasilianische Verfassung. Aber das macht ihn weder gut noch böse, sondern deutet nur auf ein spezifisches Klassen-Interesse hin und hier gibt er uns Gelegenheit, das einmal genau herauszuschälen.

Der GutBöse-Denkfehler setzt automatisch die persönliche Feindseligkeit als Primat vor die politische Debatte auf der Ebene des Wortes. Es ist genau der Denkfehler, der eigentlich in Denkverweigerung besteht, welcher jedem Bürgerkrieg zugrunde liegt und es fließt dann solange Blut, bis das Nachdenken wieder funktioniert und auf die Ebene des Wortes zurückgekehrt werden kann. Die Geschichte des Hin und Her zwischen Repräsentationssystem und Militärdiktatur in Brasilien, ist eine Geschichte der Gewaltspirale aus verweigertem Nachdenken.

In Deutschland liefert uns die sogenannte „Antifa“ einen aufschlussreichen Anschauungsunterricht aus dieser Verweigerung, welche traditionell zum 1. Mai, vor allem in Berlin, bürgerkriegsähnliche Zustände auslöst. Denkverweigerung zeigt aber auch auf der Ebene des Wortes krasse Blüten. So geben Oppositionelle den Machthabern durch Beleidigung und üble Nachrede immer wieder Gelegenheiten um die entsprechenden Strafgesetze anzuwenden. Wer dazu neigt, primär die Person anzugreifen anstatt eine politische Position, neigt automatisch zu Übertreibungen. Noel nennt einen Putschversuch einen Putsch und Anstiftung zum Mord einen Mordversuch. Er versucht, wie die System-Linken in Deutschland, seine politischen Gegner mit dem Wort „Faschisten“, moralisch zu verbösen. Die Gewaltherrschaft des Eigentumsrechts mit Faschismus zu verbösen, entspringt dem Bedürfnis des Kleinbürgertums, über die eigentliche Ursache der Gewalt, das Eigentumsrecht, hinwegzutäuschen.

Was nun die politische Freiheit (Radikaldemokratie) anbelangt, über die Noel in verachtender Art und Weise hergezogen ist, so ist es natürlich sein gutes Recht, seine Position dagegen zu setzen und zu begründen. Was mich vor allem daran interessiert, sind Begründungen. Ich warte immernoch darauf. Noels Ausschweifungen über die Geschichte Brasiliens sind nett gemeint und ich bedanke mich dafür, aber sie sind nicht Gegenstand der Debatte.

Die Debatte über die Revolution als friedlicher Verfassungsakt steht historisch auf der Tagesordnung. Sie ist aufgrund der Verleumdung der Revolution überfällig. Sie ist für die Auflösung eines theoretischen Dogmas notwendig.

Holger Thurow-N.

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Von Redaktion

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