Eine teuflische Geschichte – Kunst, Musik, Kultur und Macht

Mephistopheles über Wittenberg, in einer Lithographie zu Goethes »Faust« von Ferdinand Victor Eugène Delacroix, 1828
[Der Aufstand 40/23, Seite 5]

Eine teuflische Geschichte – Kunst, Musik, Kultur und Macht

(Ein Essay über Gutes und Böse).

von Noel Nascimento (Brasilien),
übersetzt aus Portugiesisch

Eine Episode aus dem “Faust” von Lenau erzählt von der Einkunft von Faust in einem Dorf und seinem Eintritt in die karge Dorfschenke. Dort lernt er Gretchen kennen, die als Dienstmagd serviert, in die er sich verliebt und bietet Mephistopheles darum, sie für ihn zu ergattern. Den Wünschen seines Herrn auf Erden in diesem Leben folgend, bemächtigt sich der Teufel der Geige eines in einer Ecke liegenden alten Mannes und spielt einen Zaubertanz, der das Paar in Trance versetzt, als die beiden sich entfernen und sich in einem Garten in himmlischer Liebe umarmen und sich teuflisch ergötzen.

Kunst gibt den Menschen wieder, was er tut, denkt und wünscht, aber sie kann benutzt werden, wie auch Ideen gebraucht werden können, für Zwecke, zu denen sie nicht gedacht wurden. Heute trägt Kunst auch Ansätze der Psychologie, Anthropologie, Soziologie und vieles mehr. Die Verbindung der Medien zu allen Schichten der Gesellschaft ist unermesslich und ihr Einfluss ist bekannt und unvermeidlich. Psychologie der Massen lässt sich verwenden (Sigmund Freud, Erich Fromm). Der Beginn davon geschah, als die Oper und das Konzert in den Konzerthäusern von Cinema allmählich ersetzt wurden. In jeder Straße konnte ein Kino eröffnet werden und die Verfilmungen wurden weltweit vervielfacht und verteilt.Das führte dazu, dass die bis dahin besuchten Spektakel immer mehr eine elitäre Besucherschaft wurde. Das Radio trug zum Ereignis der Nachrichten-übertragung bei und zur Verbreitung von Meinungen derjenigen, die dieses Mittel besitzen, und eine Idee vermitteln wollen, seien sie der Staat oder Privatinteressen. Damit sind die Menschen in der Bildung und in der Informationsbranche wesentlich passiver geworden als je zuvor und in den hoch erarbeiteten Künsten umso mehr. Es ist aber vor allem mit Musik, dass mit Gefühlen wesentlich einfacher zu handeln ist, und zwar auf subtile Art und Weise, wie sie sich leicht im Unterbewusstsein einmischt.

Jeder Mensch sieht die Welt und das Leben durch das Fenster, das er öffnen kann.

Wir wissen, dass es mindestens seit der Renaissance geheime Codes gab, mit denen Künstler geheime Botschaften vermittelten, die wir heute als Symbole bezeichnen. Früher blieb es offensichtlich noch den Architekten und Kirchenbauern vorbehalten, gewisse Künste zu kennen, die sie in verbotenen Zünften unter Lebensgefahr geheim hielten. Kunst wurde stets unter besonderen Regeln geduldet. Bis zur Renaissance änderte sich wenig daran und die Inquisition, die Reformation wie die Gegenreformation, waren harte Schläge gegen den Versuch der Künstler, Philosophen und Literaten, sich frei äußern zu dürfen. In diesen Bereichen waren stets kurze Schritte die die kreativsten erfanden um die Gesetze von deren Herrscher zu umgehen.

In der deutschen Barockzeit, machte ein junger Musiker den Weg von seiner Heimatstadt Eisenach nach Lübeck zu Fuss, um dort bei einem bekannten Kapellmeister zu lernen. Der sechzehnjährige war Johann Sebastian Bach und sein Meister war der zu seiner Zeit bekannte Buxtehude. Nach drei Jahren Lehre machte der Meister seinem Lehrling ein Angebot; der Junge sollte eine seiner Töchter heiraten und könnte infolgedessen das Amt seines ehrwürdigen Meisters erben. Dem jungen Musiker gefiel wahrscheinlich die Dame weniger als der angebotene Posten, er nahm es nicht an und ging wieder weg, so arm wie er vor drei Jahren angekommen war. Er wurde einige Zeit später nur als untergeordneter Kantor in der Pfarrei von Saint Thomas in Leipzig angestellt, konnte davon nur ein sehr sparsames Leben für sich und baldige sechzehn Kinder ermöglichen. Er verwitwete zweimal und seine dritte Frau endete als Bettlerin in Leipzig. Das waren die Folgen davon, sich mal dem Wunsch einer Obrigkeit geweigert zu haben. Die Frau von Felix Mendelsohn war es, die viele Jahre später in einem Metzgerladen die Partitur der Matthäus Passion als Verpackungspapier entdeckte, die die arme Witwe dem Vater des Metzgers für die Vergabe von Fleischreste gab. Von der Zeit Bachs bis Beethoven vergingen noch einige Jahrzehnte,bis das Genie aus Bonn mit seiner durchaus unbeugsamen Persönlichkeit die Musiker und damit die gesamte Kunstwelt von den mächtigen Krallen der Aristokratie entfesselte. Damit war die Kreativität aller Künste frei. Die Umstände seiner Zeit betrachtet, setzte sich Beethoven durch wie kein anderer Künstler in der Geschichte. Er beschimpfte sogar die, die ihn gern hatten und respektierten, mal auch mit großer Undankbarkeit gegenüber denen, die ihn geschützt oder geholfen hatten. Er gab sich als Republikaner bekannt und zeigte seine Verachtung gegenüber der Aristokratie.


Was in der heutigen Welt so viel wie zuvor Ethik, Ästhetik und Politik beschäftigt, ist, wie fern die Kunst im engeren Sinne bindet und wie die Kunst, aber vor allem die Musik so stark als Machtinstrument benutzt werden kann. Hiermit hat die Klassik weniger zu tun, sie liefert aber die besten Elemente, um zu verstehen, wie es geschieht. Und dazu ist Musik maßgebend. Nichts rührt mehr mit menschlichen Gefühlen in einer subjektiven und oft fast unbewussten Art, wie die Musik. Nach den Worten von Benedetto Croce, Kunst, wie wir es ästhetisch formulieren, entsteht aus einer kreativen Idee, die sich aus einem Ideal von Schönheit ergibt, die nicht unbedingt einer realen materiellen Welt entspricht. Und hiermit wird man auf die Ideen der Antike zurückgeworfen. Die Ideen von Kunst, die Plato als eine von Menschen erschaffene Schönheit die als ein hohes Ideal diente und von Aristoteles, dass sie nur eine Abstraktion des menschlichen Geistes sei, hat Strömungen ausgelöst, die nach den religiösen Katastrophen des kulturellen Rückstands des Mittelalters sich nur langsam davon befreiten und mit der Renaissance im Geiste vom Humanismus des Genfer Mönchs Sebastian Castello in seinem erbitterten Kampf gegen die calvinistische Diktatur davon löste. (*Hierzu Stephan Zweig in “ Castellio gegen Calvin” oder “Ein Gewissen gegen Gewalt”. Französisch: Une Conscience Contre la Violence).

Fälschlicherweise wird heute zur Zeit Beethovens neunte Symphonie als eine von Rechten angesehene Hymne sogar genommen, die Schillers “Ode an die Freude” im Finale enthält. Bei Goethe waren die tiefen Untersuchungen der Natur der menschlichen Seele seit Plato und Aristoteles nicht wieder unternommen. Aristoteles Gedanken “wie weit und warum unterwirft sich eine menschliche Seele dem Willen eines anderen?” gingen eher im Sinne, dass Aristoteles Menschen als Herren und Sklaven ansah und die Gründe dafür in der menschlichen Seele suchte. Davor sah Plato einen idealen Menschen, der frei sein könnte und der Liebe zugewandt wäre. In der Welt dieser Ideen schweben wir noch heute, in viel komplizierter Art und Weise. Immanuel Kant’s ästhetische Ideale der Aufklärung in der “Kritik der Reinen Vernunft” wurden vor allem von Klassikern und teilweise von Romantikern in der Musik und in der Literatur gefolgt, wozu wieder Beethoven und zusätzlich Goethe erwähnt werden sollten. Es war der Mensch in der Natur, von ihr beeinflusst und als Kenner der Natur, und darin die Gesellschaft.


Beethovens Oper Fidelio mit seinem politischen Häftling als Hauptfigur und einige Jahrzehnte später insbesondere Giuseppe Verdi, dessen Oper ähnliche Ideale von Freiheit, Wertung der menschlichen Arbeit wie bei Aida mit dem Bau des Kanal von Suez und das Schmiede Chor von Il Trovatore und das Sklavenchor von Nabucco, das lange in Italien als Hymne der Sozialisten gesungen wurde, zu zitieren, ist nicht falsch. Damals galten die Ideale von Saint Simon und Victor Hugos als die ersten sozialistischen Stellungnahmen und Kritik von sozialer Ungerechtigkeit. In Italien waren Anarchisten in den vielen Revolten gegen die italienische Aristokratie eine maßgebende Kraft. In Deutschland zeichnete sich ein unbestreitbares Genie aus, das bis später anderen Idealen diente, als einige eine der größten Katastrophen der Geschichte anfingen und seine Kunst betrügerisch für sich nutzten.

Richard Wagner war es, der nach einem revolutionären Anfang im 1948 im Exil in Paris lebte und zuerst noch in “Rienzi” als kritisches Thema die Willkür eines Diktators wählte. Danach wandte er sich ausschließlich den Mythen der christlichen Religion zu, die sich mit
deutschen und englischen mittelalterlichen Mythen vermischten. Als genialer Phantast der Musik benutzte Wagner diese Themen reichlich. Wagners ursprüngliche Freundschaft zu Friedrich Nietzsche, der religiöse Moral ablehnte, ging dadurch in den Bruch. Nietzsche
stand mit Goethe, mit den Gedanken der Kräften der Natur. Nun, es waren ausgerechnet die Kreativität von Wagner und die Verdrehung der Ablehnung vom ursprünglichen Glauben, vom Guten und Bösen von Nietzsche, von dem sich die Nationalsozialisten reichlich bedienten und einen Nutzen machten. Cosima, Wagners Frau und Tochter von Franz Liszt, wurde zur NS-Zeit eine Pitonisa der Nazis in Bayreuth. Ihr musste ein Besuch abgestattet werden wenn man zur Nazi Kupel gehörte. Adolf Hitler war dabei und feierte bei ihr einer
seiner Geburtstage. “Rienzi” hätte der Nazi Führung nicht gefallen, jedoch wurde Wagner als der Nazi Komponist wegen seiner “deutsch christlichen Mythologie” par excellence ausgewählt. Hitler hätte Rienzi verboten, wenn er dieses Werk Wagners gekannt hätte. Hierzu musste gesagt werden, dass Wagner erst mehrere Jahre vor der Geburt Hitlers starb, aber dass er sich eine solche Art von Diktatur vorstellen konnte, lässt sich in Rienzi klar ansehen. Dass in der Nachkriegszeit die Bayreuther Festspiele nochmal Treffpunkt der großen deutschen und europäischen Politik und der einflussreichsten Menschen der westlichen Welt wurden, ist bekannt. Zuletzt versuchten Künstler, moderne Erscheinungen der Bühnenbilder auszufertigen, die den Vorstellungen einen anderen Charakter geben und sogar das originale ästhetische ändern und verderben, weil das Geschehen mehr mit Macht und finanziellen Interessen zu tun hat, und es passt vielen Künstlern selbst nicht.

Die verborgenen Kräfte des Unbewussten kamen mit dem Expressionismus hoch. Der Symbolismus fand freien Gang mit der Äußerung von Benedetto Croce, der nach Sigmund Freud einen anderen Boden für Kunst, von Phantasten bis zur Psychologie der Gestalt, bereitete und begründete. Es wurden erst dann Studien darüber geführt, wie die Kunst sich von individuellen Vorstellungen bis ins Reich der Phantasie der Individuen und der Gesellschaft Einfluss auf alles nehmen kann. Und zur Zeit von Croce war man fast bereits in der Moderne und Postmoderne, unter Einfluss auch von Jean Paul Sartre und Michel Foucault. Die verborgenen Kräfte der Natur spielen enormen Einfluss auf die menschlichen Empfindungen. Sartre und Foucault sahen darin das Milieu, verneinten Croce aber nicht. Es geht prinzipiell in der Kunst um Schönheitsideale. Was jedoch schön ist oder nicht, liegt in der Seele, in Gefühlen und im Geiste. Sie können wortlos sein, Erhabenheit, Würde, Leidenschaft, Glück und Unglück ausdrücken, fantastisch, mal tiefsinnig, mal nicht. So verstehen Künstler ihren Beruf. Das wissen die Weltenherrscher und lassen darin Richtung geben. Und darin ist Foucaults Kritik der Macht trefflich. Die Berieselung von Kino und grossen “Shows”, die damit verbunden sind, wie Hollywood Stars, setzen Maßstäbe, Filme machen aus Verbrechen und Mord Helden. Charlie Chaplins sind die seltene Ausnahme. Wer wuchs nicht mit amerikanischen Soldaten auf, die im wilden Westen die bösen Indianer töteten! Die bösen Vietnamesen! Der Russe! Die Kommunisten! Kuba muss man ausrotten! Sie sind kulturlos. Gut sind die Rolling Stones, die Beatles. Wir sind friedlich! Es ist Betäubung. Dafür kann die Kunst nichts, aber sie wird benutzt und die Menschen, die ihre Gefühle austoben, werden dadurch kontrolliert. Die machtkranke Psyche kontrolliert das Materielle im individuellen und im gesellschaftlichen Leben.

Am Strand von Copacabana in Rio de Janeiro findet die größte Berieselung von einer Million Menschen in “Rock in Rio” statt, wohin viele aus der ganzen Welt hin fliegen. Die Menschen brauchen Betäubung. Brot und Zirkus. Von den sieben Millionen Einwohner von Rio de Janeiro leben ungefähr zwei Millionen unter sehr harten Armutverhältnissen, fast alle sind halb Analphabeten oder ganz, die übergroße Mehrheit der Stadt ist extrem ignorant und einen Teil davon selbst eingenommen, eine kleine Elite geht noch ins Konzert und in die Oper, aber davon versteht sie sehr wenig oder gar nichts, weil sie sich in nichts vertiefen möchte. Es geht nur um “die schöne Melodie” und wenn ein modernes Werk aufgeführt wird, klatscht sie aus Pflicht. Ein runder Kreis von Menschen dreht sich um sich selbst und schafft Kunst. Wer in den USA, England und anderen europäischen Ländern ein wenig mehr Bildung hat, genießt es. und wer viel Geld hat, kauft sich einen Van Gogh, darf es sich sogar verbrennen, um die virtuellen Rechte davon im Internet zu bewahren, was letztlich Realität wurde. Wer dagegen protestiert, singt im Rhythmus von Rock’n’roll. Mickey Mouse hat unsere Kindheit beherrscht, Batman, Superman. Spione, die sich in Nicaragua oder in Kuba einmischen, um kommunistische Regime zu stürzen, die sich aus ungeheuerlichen Lebensumständen durch Revolte der Ausbeutung ergeben, sind Helden. Es wird sich immer ein guter Musiker finden lassen, der für gutes Geld ein motivierendes Orchesterstück dazu komponiert. Und wer schaut der Milliardäre leerköpfige Fußballspieler nicht zu und feiert die Tore seiner Nationalmannschaft nicht!

Eine andere Welt gab es eine Zeit lang, die 1917 durch eine Revolution entstand. Sie war gewaltsam. Einige bedauern noch den Tod durch Erschießung einer Aristokratenfamilie, die “ihr” Land in der Misere ließ, während sie sich Schokoladeneier zu Ostern mit Gold schmückte. Im Krieg erlitt dieses Land, gegen das in der westlichen Welt noch ungeheuerlicher Groll herrscht, den Tod von fast dreißig Millionen Menschen. Es drang nach aussem nichts, man weis so viel davon, aber logischerweise meist nur schlechtes. Deren Konzerthäuser und Theater waren voll, die Schulen überall besetzt, der Analphabetismus besiegt und dort, wo ein Dorf noch im riesigen Territorium gefunden wurde, wo der Staat noch nicht kam, wurden am nächsten Tag sofort Lehrer und Bücher eingeflogen. Indoktrinierung, klar! In den siebziger Jahren waren die Russen das Volk, das am meisten las. Es gab keine Spielbergs, aber Tarkowskis. Davon darf der Welt nichts übrig bleiben. Sie waren das Schlimmste, was die Menschheit je zustande brachte. Wie konnte es denn anders sein! Um den sozialen Ideen die Wette zu machen, erfand der Westen den New Deal in den USA und die Soziale Marktwirtschaft in Europa.

In den armen globalen “Süden” jedoch, in Afrika, Lateinamerika und Asien, wo jedoch noch Untermenschen leben, muss der Neoliberalismus walten und je nach Lage, beliebige Diktaturen oder “Demokratien” unterstützen. Diese werden von trainierten “Intellektuellen” vertreten, die die Ideen des marxistischen Italieners Antonio Gramsci verdrehen und für sich nutzen, der von den italienischen Faschisten eingesperrt wurde und nach mehreren Jahren im Gefängnis starb. Sein Werk bestand darin, zu erklären, wie die ärmeren nur durch Kultur und Bildung sich von ihrer Konditionierung befreien könnten. Nicht desto weniger nutzen sich die Blutsauger der Welt seiner Ideen um eine mitschwimmende Mittelschicht von den Vorstellungen des verdienstvollen Erfolges im Anarcholiberalismus, in der die Vorteile der Ausbeutung der Welt und Ausnutzung anderer Menschen von niedrigeren Schichten zu rechtfertigen ist. Die Hauptdevise ist, wer ignorant oder arm ist, sei selber Schuld. Somit kennt nur jeder zweihundertste Brasilianer ein Werk von Villa Lobos, der mal sagte, er mochte Fußball nicht, denn es ist eine Übertragung des Gehirns und der Denkfähigkeit auf die Füße. Dutzenden von guten Komponisten sind nicht bekannt, von Carlos Gomes, der noch im neunzehnten Jahrhundert in Mailande Opern mit dem Namen “Il Guarani” und “Der Schiavo” inszenierte, die erste mit dem Thema der französischen Besatzung in Rio de Janeiro im Jahre 1546, und die zweite mit idealen der Abolition.

Eine große musikalische Kultur ist in Südamerika vorhanden, die weit hinaus größer und qualitätsmäßig besser ist als die von Nordamerika, die aber die Sudamerikaner nicht kennen. Uns unterliegt die Macht dazu nicht. Der Samba, die Musik, die in den Bergen von Rio entstand, bleibt vielen als einzige Freude, die einmal jährlich im Karneval gefeiert wird, und dann können Slumbewohner eine Stunde lang in Luxus-Fantasien tanzen. Die Schulen in der Peripherie, die einmal jemand vorhatte zu bauen, wo ärmere Kinder essen, spielen, Musik, Schach lernen könnten, blieben verbannt und diejenigen, die es vorhatten zu bauen, wurden verfolgt, aus der Politik zuerst ins Exil geschickt, und danach ausgetrickst. Damit kennt auch keiner ein typisches einfaches Werk wie das von Lorenzo Fernandez komponierte “Batuque”. Dass es mal in allen Fabriken, kleinen Städten aufgeführt sein könnte, in Schulen bekannt und besprochen, blieb verloren wie der Traum der Idioten. Es blieb dem Amerikaner Leonard Bernstein das Vergnügen vorbehalten, dieses Werk mit dem New York Philharmoniker aufzunehmen, wie auch den Berliner Philharmoniker und Deutsche Grammophon die Bachianas von Villa Lobos. Natürlich erfreuen sich alle Brasilianer davon, aber nur diejenigen, die wissen, dass es existiert.

Mit Rock ‘n’ Roll darf man gegen alle diese Zustände protestieren. Wieso denn nicht? Nicht desto weniger heißt heute populäre Musik Unterhaltungsmusik. Julius Caesar; Brot und Zirkus. Das soll gelten. Im Entscheidungsspiel zwischen Epikureer und Stoiker gewannen schließlich die Hedonisten für sich den höchsten Pokal. Faust hat längst die Seele verkauft, Mephisto lacht, und Gretchen, zum Tode verurteilt, betet für die Rettung der Menschheit.


Noel Nascimento

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Von Redaktion

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