Gedanken zum Buch von Hannah Arendt: „Über die Revolution“ (Teil 4)

[Der Aufstand 10/25, Seite 5]

Gedanken zum Buch von Hannah Arendt: „Über die Revolution“ (Teil 4)

Einleitung – Krieg und Revolution (Seite 4-18)

Bisher hatten wir die Vorhersage der Autorin, die sich auf Lenin beruft, das Krieg und Revolution das Gesicht des 20. Jahrhunderts bestimmen. Weiter führt sie aus, das es jetzt nichts mehr gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnte, als das, was von allem Anfang an das Wesen der Politik bestimmt hat, nämlich die Sache der Freiheit gegen das Unheil der Zwangsherrschaft jeglicher Art. Danach betont sie, das die Revolution schon beansprucht, die Sache der ganzen Menschheit zu vertreten, zu einer Zeit, als das Wort Menschheit noch ein vager Begriff war. Dann geht sie über zur Rolle und Bedeutung der Gewalt in der Politik und führt aus, das in der griechischen Gesellschaft(Polis) die zum Tode Verurteilten nicht hingerichtet wurden, sondern sie wurden dazu „überredet“, den Schierlingsbecher selbst an die Lippen zu setzen. Physische Gewaltanwendung war unter allen Umständen mit der Würde eines athenischen Bürgers unvereinbar.

Da aber für die Griechen das Politische, nämlich die Polis, sich schon dem Wortsinn nach sich auf keinen Fall über die Grenzen der Stadtmauer erstrecken konnte, bedurfte die Gewalt in dem Bereich, den wir heute Außenpolitik oder internationale Beziehungen nennen, auch gar keiner Rechtfertigung; obwohl griechische Außenpolitik (abgesehen von den Perserkriegen, in denen ganz Hellas vereint war) sich nur zwischen griechischen Stadtstaaten abspielte, galt sie nicht als eigentlich politisch. Außerhalb der Stadtmauern, nämlich außerhalb des politischen im griechischen Sinne, galt das Wort des Thukydides: „Die Mächtige tun, was sie können, und die Schwachen erleiden, was sie müssen.“

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Die ersten Rechtfertigungen des Krieges und damit den ersten Unterschied zwischen gerechte und ungerechte Kriege kennen wir aus dem römischen Altertum. Aber diese römischen Unterscheidungen und Rechtfertigungen handeln nicht von Freiheit, wir finden in Ihnen nirgends den Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg. „Denn gerecht ist ein Krieg für diejenigen, für die er notwendig ist, und heilig sind die Waffen, wo nur in den Waffen noch Hoffnung ist“, meint Livius. Seit den Tagen von Livius und durch die Jahrhunderte hat man die Notwendigkeit für vieles angerufen, das uns heute sehr viel mehr für einen ungerechten als für einen gerechten Krieg zu sprechen scheint. Der Drang nach Eroberung und Expansion, die Verteidigung bestimmter Interessensphären, die Erhaltung der Macht gegen neuen, bedrohlichen Machtzuwachs eines Nachbarn, oder die Aufrechterhaltung eines bestimmten Mächtegleichgewichts. All diese nur zu bekannten Inventar-Stücke der Machtpolitik sind ja nicht nur die Ursachen der meisten uns bekannten Kriege in der Geschichte, sie wurden vor allem auch immer als „Notwendigkeiten“ empfunden, welche den Ausbruch des Krieges voll rechtfertigten.

Die Vorstellung, das der Angriffskrieg ein Verbrechen ist und das Kriege nur als Verteidigungs- oder Präventivkriege gerechtfertigt werden können, hat eine praktische und selbst theoretische Bedeutung überhaupt erst nach dem Ersten Weltkrieg gewonnen, als das furchtbare Vernichtungspotential moderner Waffen zum ersten Mal voll in Erscheinung getreten war. Vielleicht hängt damit, das nicht Freiheit, sondern Notwendigkeit der Rechtfertigung des Krieges in unserer Überlieferung diente, zusammen, das uns unabweisbar ein Gefühl des Unbehagens überkommt, wenn das Argument der Freiheit heute in die Debatte der Kriegsfrage geworfen wird.

Seit Jahrzehnten, nach Ende des Ersten Weltkrieges und noch stärker nach dem Zweiten Weltkrieg werden Kriege, die überwiegend die westliche Welt führt und oder finanziert, als Freiheitskriege, für Demokratie und Menschenrechte, gegen Tyrannei, hingestellt. Es gibt zu diesen Kriegen, ob in Korea oder Vietnam, zwei mal Afghanistan, Irak, Libyen und jetzt in der Ukraine genügend Untersuchungen und Tatsachenmaterial, das es hier um Macht und Machterweiterung ging. Passend dazu ein paar Zitate aus dem Buch von Hanna Arendt (Seite 11 bis 13):

Was aber nun den Freiheitsbegriff anlangt , so ist er zwar mit dem Wesen der Revolution von Anfang an verbunden , hat aber ursprünglich mit Krieg und Kriegszielen kaum etwas zu tun . Daran ändert auch die Tatsache nichts , daß Befreiungskriege in der historischen Erinnerung der Völker oft mit einem besonderen Nimbus umgeben worden sind oder daß in der Kriegspropaganda , die von den heiligsten Gütern der Nation <<< spricht , die Freiheit als Schlagwort immer wieder auftaucht . Denn all dies besagt keineswegs , daß darum die Befreiungskriege in Theorie und Praxis als die einzigen » gerechten Kriege « galten. …“

„… Sie setzen offenbar voraus , daß politische Beziehungen normalerweise nicht im Zeichen der Gewalt stehen , und diese Überzeugung von der wesentlichen Gewaltlosigkeit der Politik finden wir zum erstenmal im griechischen Altertum. …“

„… Daß es sich bei diesem Selbstverständnis keineswegs um leeres Gerede oder Selbsttäuschung handelte , die man heute » entlarven « könnte , zeigt sich vielleicht am sinnfälligsten in dem athenischen Brauch , die zum Tode Verurteilten nicht hinzurichten , sondern sie zu » überreden « , den Schierlingsbecher selbst an die Lippen zu setzen ; physische Gewaltanwendung war unter allen Umständen mit der Würde eines athenischen Bürgers unvereinbar. …“

„… Außerhalb der Stadtmauern, nämlich außerhalb des Bereichs des Politischen im griechischen Sinne, galt das Wort des Thukydides[212]: »Die Mächtigen tun, was sie können, und die Schwachen leiden, was sie müssen.« Die ersten Rechtfertigungen des Krieges und damit den ersten Unterschied zwischen gerechten und ungerechten Kriegen kennen wir aus dem römischen Altertum. Aber diese römischen Unterscheidungen und Rechtfertigungen handeln nicht von Freiheit, und wir finden in ihnen nirgends den Unterschied zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg. »Denn gerecht ist ein Krieg für diejenigen, für die er notwendig ist, und heilig sind die Waffen, wo nur in den Waffen noch Hoffnung ist«, meint Livius[120]. (Iustum enim est bellum quibus necessarium, et pia arma ubi nulla nisi in armis spes est.[2]) Seit den Tagen Livius’ und durch die Jahrhunderte hat man die Notwendigkeit für vieles angerufen, das uns heute sehr viel mehr für einen ungerechten als für einen gerechten Krieg zu sprechen scheint. Der Drang nach Eroberung und Expansion, die Verteidigung bestimmter Interessensphären, die Erhaltung der Macht gegen neuen, bedrohlichen Machtzuwachs eines Nachbarn oder die Aufrechterhaltung eines bestimmten Mächtegleichgewichts – all diese nur zu bekannten Inventarstücke der Machtpolitik sind ja nicht nur die Ursachen der meisten uns bekannten Kriege in der Geschichte, sie wurden vor allem auch immer als »Notwendigkeiten« empfunden, welche den Ausbruch eines Krieges voll rechtfertigten. Die Vorstellung, daß der Angriffskrieg ein Verbrechen ist und daß Kriege nur als Verteidigungs- oder Präventivkriege gerechtfertigt werden können, hat eine praktische und selbst theoretische Bedeutung überhaupt erst nach dem Ersten Weltkrieg gewonnen, als das furchtbare Vernichtungspotential moderner Waffen zum erstenmal voll in Erscheinung getreten war.

Vielleicht hängt damit , daß nicht Freiheit , sondern Notwendigkeit der Rechtfertigung des Krieges in unserer Überlieferung diente , zusammen , daß uns unabweisbar ein Gefühl des Unbehagens überkommt , wenn das Argument der Freiheit heute in die Debatte der Kriegsfrage geworfen wird. …“

„… Nun darf man nicht vergessen , daß der Freiheitsbegriff sich in der Debatte der Kriegsfrage überhaupt erst gemeldet hat , nachdem ganz offenbar ein Stadium in der technischen Entwicklung erreicht war , in welchem ein zweckmäßiger Einsatz der Gewalt- und Vernichtungsmittel nicht mehr möglich ist . Dadurch ist es , als habe man das Freiheitsargument wie einen deus ex machina in die Kriegsdebatte geworfen , um zu rechtfertigen , was rational nicht mehr zu rechtfertigen ist. …“

„… Könnte es nicht sein , daß unsere gegenwärtige Unfähigkeit , mit der Kriegsfrage fertig zu werden , nur besagt , daß wir auf Grund unserer Überlieferung noch schlechterdings außerstande sind , außenpolitisch auch nur zu denken , ohne das Hilfsmittel einer » Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln « als die ultima ratio allen Handelns in Betracht zu ziehen?“

Für uns, die Lohnsklaven und die Mehrheit der Menschen in Deutschland, Europa, Asien und Afrika, also weltweit, ist die Beendigung der Herrschaft der Mächtigen, der Großeigentümer und Kriegstreiber, durch eine angestrebte friedliche Revolution, eine Frage des Überlebens.

Hans-Peter Beneke

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Von Redaktion

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