Demokratie ist out, erfahre ich heute

Foto: Steffen Prößdorf
Deutscher Bundestag; Blick in den Plenarsaal
[Der Aufstand 08/24, Seite 12]
 Sahra Müller

Demokratie ist out, erfahre ich heute

Sagt der Economist-Index. Wunderbares Schönsprech: Für die sind 45,7 Prozent „die Hälfte“. 54,3 leben schon woanders. Eine „vollständige Demokratie“ – was immer das jetzt sein mag – erreichen nur noch 7,8 Prozent. Und Ungarn hat man jetzt per EU-Parlament den Demokratiestatus aberkannt. Sie sind jetzt ein „hybrides System der Wahlautokratie“ – was immer das auch heißen mag. Angeprangert wird unter anderem Vetternwirtschaft. Also – wenn der Neffe des alten Otto Graf Lambsdorff Botschafter in Russland wird. Oder die Tochter von Schäuble Programmdirektorin im öffentlich rechtlichen Rundfunk wird. Die Tochter von Söder will jetzt auch in die Politik, der Sohn von Kretschmann kam knapp nicht in den Bundestag – aber man arbeitet dran. Nun sind wir ja eine vollständige Demokratie, da will ich mal jetzt nicht herumunken. Die USA sind das nicht – wen wunderts. Weit überlegen sind uns: Schweden, Dänemark, Norwegen – und Island, wo man die Banker nicht gerettet sondern eingesperrt hat. Das ist mal so richtig demokratisch.

Scheint, dass das Modell Demokratie die Menschen überfordert. Ist auch anstrengend: es ist leichter – viel leichter – Befehlen zu folgen … oder Empfehlungen von Experten, wie Befehle heute heißen … als sich selber mit der Materie auseinander zu setzen und eigene, selbstverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Womöglich wollen die Menschen jetzt wieder lieber mehr Befehle haben. Oder Empfehlungen. Schaue ich mir die Welt der Medien an, die als vierte Macht die Regierungsmacht kritisch hinterfragen sollten, jetzt aber meistens nur noch eine erweiterte Presseabteilung sind, dann sehe ich: ich brauche gar nichts mehr zu entscheiden: alles wird geregelt. Was ich anziehen soll, was ich essen oder trinken soll, wie ich die Kinder erziehe, wie ich meinen Garten gestalte oder meine Wohnung einrichte, wie ich meine Freizeit zu gestalten habe, wie ich Liebe machen soll oder welcher Sport gerade angesagt ist, wie ich Toilettenpapier zu nutzen habe, wie ich lüften soll oder was im Fernsehen unverzichtbar ist – ich brauche nicht eine eigene Entscheidung treffen, kann aber noch zwischen den Experten wählen. Nun ja: manchmal. Heute kann ich zum Beispiel lernen, wie ich aus einem guten Pfannekuchen einen sehr guten Pfannekuchen mache: die Medien nehmen ihren Auftrag als Wächter der Demokratie wirklich sehr ernst. Ich werde darüber belehrt, ob einmal duschen in der Woche reicht oder erhalte 52 Aktivitäten und Ideen für das erste Date: ja, das ist Freiheit. Dafür haben früher Menschen ihr Leben gegeben. Wenn ich ungeduscht mit dem besten Pfannekuchen zum ersten Date komme, kann sicher nichts mehr schiefgehen, oder?

Ist womöglich wirklich so: den Menschen wird das Leben zu langweilig, deshalb gieren sie nach Streit, nach Hass, nach Krieg. Endlich mal echtes Leben anstatt das aus der Retorte.

Gegen diese schleichende Degeneration der Belegschaft hilft eigentlich … nichts. Kein Natoaustritt, kein Nationalstaat, keine Superpartei. Aber man versteht dann, wie elegant und hinterlistig Demokratie weltweit untergraben wird zugunsten von Herrschaftsformen, wo oben und unten dauerhaft geregelt ist.

Aber bei uns – ist das ja ganz anders. Kann im besten Deutschland aller Zeiten gar nicht anders sein, oder?

Darf man noch fragen, wem solche Entwicklung eigentlich gefällt, wer immense Gelder in diese Geschichte steckt – oder ist das dann schon Verschwörungstheorie? Klar darf man das nicht: im besten Deutschland aller Zeiten ist alles super, sonst wären wir ja nicht die Besten, oder? Und darum brauchen die Medien auch nichts mehr kritisch zu hinterfragen: wir sind fertig mit unserer Entwicklung. Sozusagen: am Ende.

Der Eifelphilosoph

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Von Redaktion

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