Der Wille, das Wissen und die Hölle
Der Mensch ist das einzige Lebewesen auf der Erde, das Wissen außerhalb seines Körpers aufbewahrt. Alle anderen Tiere, sofern sie Erfahrungen sammeln, die mehr oder weniger als Lernprozesse bezeichnet werden können, behalten diese in der Erinnerung ihres Daseins. An sich dienen diese Erinnerungen dem Zweck des Überlebens in der Natur und sie werden dann in ihrer Verhaltensweise biologisch erblich genetisch weitergegeben. Eine Art Bewusstsein, wie der Mensch in sich trägt, der über sich selbst und seine Existenz grübelt, scheinen andere Tiere zumindest nicht in solchen Maß zu besitzen.
Einige uns nah stehende Tiere zeigten schon ein wenig davon, mit uns zu teilen. * Ein Beispiel hiervon kann das Gorilla Weib Coco sein, das mit dem Schauspieler Robin Williams eine außerordentliche Freundschaft schloss und eindeutige Zeichen von bewusster Beurteilung über Menschen sogar zeigte. Aufnahmen davon sind im Internet zu finden. Nach René Descartes, dem französischen Philosoph, denken wir, logisch, existieren wir. Bleiben wir aber nicht bei den Affen, sondern nehmen wir unsere Spezies wieder. Wir verhielten uns nicht wie die Tiere, die in der Natur einen Kampf in einer hierarchischen Ordnung von Jäger und Jagd unter ungünstigen Bedingungen durchführen. Innerhalb von Jahrtausenden lernten wir Wissen zu vermitteln, und zuletzt diese als Symbole festzulegen, die zu verstehen und interpretieren waren. Nichts neues ist uns bekannt, bis die alten Griechen etwas erfanden, das sie Philosophie nannten, die Gedankensammler.
In der hohen Zeit dieser Denker, verfasste Plato in seinen Dialogen (Konversationen, Sprache, Logik) den Mytos der Hölle, in dem ein Mensch sich in der Dunkelheit befindet, aus der er mit grösster Anstrengung der Suche nach dem Licht des Verstandes durch seinen Willen heraus bringt. Mehr als tausend Jahre später deutete Schopenhauer in „Die Welt als Wille und Vorstellung” die Idee, die heute noch unserem Wissen gegenwärtig ist. Schopenhauer meinte, dass in der Natur selbst eine Kraft vorhanden ist, die in allen Wesen den Willen nach Leben trägt, zu Lebensenergie wird und zur Evolution aller Lebewesen führt. Der Mensch selbst trägt in sich diese Kraft, die er mit Verstand und Beherrschung der Natur benutzt. Die Vorstellung der Welt nach seinem Wunsch, Geschmack, Wohlfühlen und Schönheitsideal trägt der Mensch ebenfalls in sich und dadurch baut er seine Welt.
Wir leben in einer Welt die wir umgestalten wollen. Um Ideen zu vermitteln, bediene ich mich von Symbolen. Philosophie ist eine Eigenschaft eines von sich selbst bewussten Wesens, das auch seine Umwelt verstehen will. Der Wille dazu, die Umwelt zu beherrschen und sie nach Vorstellung zu gestalten, ist nach Schopenhauers Denken dem Menschen inherent. Schopenhauer wusste zu seiner Zeit nicht, wie später seine Gedanken immer noch einen Teil der wissenschaftlichen Diskussionen einprägen konnten. Auch Wissenschaftler wissen nicht wie Schopenhauers Gedankengegenwart waren. Die Frage nach freiem Willen hat auch Religionen beeinflusst, jedoch bei diesen mit großen Widersprüchen, ob Gott dem Menschen freien Willen gestattet oder nicht. Man sollte sich dem Willen Gottes nicht widersetzen, sagt das Alte Testament, mit der Geschichte Abrahams, der einer seiner Söhne töten sollte. Später hat Gott jedoch dem Menschen die Möglichkeit zu entscheiden gegeben, in der Bibel als freier Wille dargestellt.
Die heutige Physik steht vor einem ähnlichen Dilemma. Der wissenschaftliche Determinismus ist eine erstaunliche Überzeugung einiger Physiker der Gegenwart. Es ist eine ziemlich neue Idee die seit kurzem zirkuliert. Sie vertritt, dass in jedem Menschen eine vorbestimmte und vorgegebene Struktur, die nicht nur genetisch und biologisch ist, sondern von universellen Gesetzen sogar in unserem persönlichen Schicksal inhärent ist. Sie verbindet unser Dasein mit einer der Formulierungen des Universums, das mit einem Big Bang anfing und dass dieser alles in sich von Anfang an besaß, was später geschah. Alles soll wieder verschwinden und dem ist nichts entgegenzusetzen, da Zeit und Raum in einer Dimension schwingen, die das Leben mit seinem Inhalt vorenthält. Es kann auf alles Leben im Universum übertragen werden, nach dem wissenschaftlichen Determinismus.
Anfang und Ende sind eins. Eine neue und erstaunliche Entdeckung der Physik brachte uns das neue Teleskop James Webb. Seit Anfang dieses Jahres, also 2023, fotografiert es die entferntesten Gegenden des bekannten Kosmos. Dabei kam das Wunder. Es fand Galaxien, die so alt sein sollten, dass sie gar nicht mehr existieren sollten, da sie älter als das Universum selbst sind! Das misst man an der Zeit, die sie gebraucht haben, damit ihr Licht uns erreicht. Da das Alter des Kosmos mit 14 Milliarden Jahren gerechnet wird, kann es nicht sein, dass es Galaxien gibt, die fast doppelt so alt sind. Das war ein Strich durch die Rechnung. Ein Kind kann nicht älter sein als der Vater! Noch dieses Jahr taten einige Wissenschaftler ihre Ideen revidieren, einer von Ihnen, Roger Penrose, der Nobelpreis der Physik im Jahre 2020, der zusammen mit Stephen Hawking mehrere Theorien über schwarze Löcher erstellte, die sich auch vor kurzem bestätigten. Roger Penrose geht jetzt von der Idee aus, dass wir in einem unendlichen zyklischen Universum leben, das endet und erneut von Anfang wieder beginnt.
Es ist nichts neues, dass Wissenschaftler zugeben, dass sie anhand von neuen Entdeckungen zu anderen Ideen gelangen. Fehler anzuerkennen ist ein Bestandteil der Wissenschaft, wenn sie neue Evidenzen oder Beweise finden. Sonst wäre es wie Religion, die keine Evidenzen oder Beweise hat, nur Glaube, und ihre Widersprüche nicht erkennt, sondern gegen Forschungen ist, die auch gegen Glaube antreten können. Das zyklische Universum steht im Prinzip nicht im Einklang mit dem wissenschaftlichen Determinismus. Der vom james Webb Teleskop gefundene Haufen von Galaxien die älter als das Universum sind liegt einer dritten Idee nah, dass schwarze Löcher Sauger der gesamten Materie sind, aber nicht nur das, sondern dass sie in sich alle Informationen aufsaugen die von ihnen rein geschluckt wird. Welche Informationen sie sind, wird uns auch für immer reine Spekulation bleiben, da wir uns in unserem Leben und Dasein nicht vorstellen können, was dort passiert.
Jedoch gibt es eines dazu: wir denken, dann existieren wir! Ergo logo sum (René Descartes). Was sich dazu gesellt ist das Bewusstsein! Im Bewusstsein ist der Wille. Hat das Universum in sich einen Drang nach Entstehung von Leben, das wiederum nach Bewusstsein von sich selbst begehrt? Hier treffen wir Schopenhauer wieder! daraus entsteht auch die Idee, dass das Universum, das wir kennen, selbst in einem schwarzen Loch drinnen ist. Und unser Universum hat mehrere schwarze Löcher, die wiederum zu anderen Universen führen, die für sich alles um sich herum schlucken. Dann gäbe es Millionen, Milliarden anderer Universen, die alles gesaugt hätten. Von der Hölle der Dunkelheit zum Licht, von schwarzer Materie umgeben, die wir nicht wissen, was ist, ob sie ist. Im Dunkel verbirgt sich, was schon ist, und sehnt es sich nach Licht?
Es gesellt sich auch dazu die Experimente, die bewiesen haben, dass zwei Teilchen von Atomen, voneinander gespalten, ab jeder Entfernung aufeinander ohne jegliche Zeit interagieren. Und daraus ergibt sich, dass es keine Zeit mehr gibt, oder dass unter gewissen Bedingungen die Zeit gar nicht existiert. Die Logik daraus ist, dass auch Vergangenes und Zukunft eins sind. Kann es aber sein? Hier wird nicht von Seele im religiösen Sinne etwas behauptet, weder bin ich ein Physiker, um manche Erkenntnisse der Physik als Laie behaupten zu wollen. Es geht darum, diese Gedanken einem Leser nahe zu bringen, die in einer ernsten Wissenschaft existieren, die auch beweisen, dass wir immer zu wenig wissen und dass es immer so sein wird.
Was haben diese Gedanken mit unserem derzeitigen und mit jedem von uns heute und hier zu tun? Alles.
Durch unsere Beobachtung können Lichtwellen sich anders verhalten als wenn wir es nicht beobachten. Wie war es mit Schopenhauers Idee der Vorstellungen und wie wir die Welt dadurch beeinflussen? Es wird dann Zeit, die Zeitspirale zu drehen und auf unserem Boden zu stehen. Zurück zur Erde, nicht zum Himmel fahren, zu uns!
Was geschieht, wenn wir einen gewaltsamen Tod sterben. wenn jemand von einer Bombe in Sekundenbruchteilen explodiert oder wenn eine Person enthauptet wird? Alles vergeht in nichts. Aber was ist dann nichts? Ist nach dem Leben Bewusstsein? Ist die Überzeugung vieler nichts, vielleicht auch meine?
Nichts mag wohl weder Dunkel noch Licht sein, aber was ist es denn? Wir wissen nur von dieser Erde, wo wir leben. Hier spielt sich unser Drama ab. Der wissenschaftliche Determinismus schließt unseren WIllen aus. Dieser heisst auf latein animus liber, freie Seele, nicht suo iudicium, eigene Beurteilung. Wir sind sicherlich frei, um Entscheidungen nach eigener Beurteilung zu treffen. Unser Wille und Vorstellung kann, nach gewissen Bedingungen, wenn sie vorgegeben sind, Wirklichkeit werden. Was wir in uns selbst tragen, biologisch und genetisch, ist nicht veränderlich. Damit werden wir geboren.
Der Determinismus nimmt keinesfalls die Experimente des russischen Mediziners und Neurowissenschaftlers Iwan Pawlow, der zeigte, welche vielfältigen Möglichkeiten das zentrale Nervensystem hat, das von äußeren Bedingungen beeinflusst wird. Seine Theorien, bekannt als klassische Konditionierung, besagten, dass das Verhalten auf Reflexen berühren kann. Damit ist jeder Mensch, wie auch viele andere Tiere auch von äußeren Einflüssen im Lebensverhalten bewegt. Die Persönlichkeit kann in biologischen und genetischen Formeln enthalten sein. Der Charakter lässt sich durch mehrere unterschiedliche Faktoren bestimmen. Darin lässt sich die Fähigkeit eines Menschen auch bestimmen, in seinen Reaktionen, die auf Reflexe beruhen, ob er “anima liber” (freie Seele) oder suo iudicium (nach eigener Beurteilung entscheidet und sein Wille sowie seine Vorstellungen in sein Milieu und in der Gesellschaft hinein bringt und ob er dazu in der Lage sein kann.
Biologischer Determinismus kann insofern wahrlich sein. wenn auch die klassische Konditionierung Pawlows in Betracht gezogen wird. Eine Familie oder eine Menschengruppe, die in ständiger Armut lebt, über Generationen schlecht ernährt wird, kann kein gut entwickeltes Gehirn und ein gutes Geistesverhältnis zu ihrer Umwelt entwickeln. Äußere Einflüsse werden auch immer die Kultur bestimmen, ob weiterentwickelt oder nicht. Der Wille kann durch schlechte Verhältnisse keine ausgewogene Beurteilung ermöglichen, da der genetische Faktor durch schlechte soziale Bedingungen beeinflusst wird. Es ist eine Beurteilung, die nicht frei ist (lateinisch libratum, von liber), sondern eine bedingte. Der Wille ist dann schwach und schlecht. Die Gefahr des wissenschaftlichen Determinismus liegt hiermit auf der Hand: die Eugenie, die Idee, dass einige Menschen dazu vorbestimmt sind, über andere zu herrschen, weil sie bessere Menschen sind und dass Fügung wie Auserwähltheit etwas Natürliches, als gäbe es keine äußeren Einflüsse, wie das frühere Lesen lernen seit der Kindheit durch mehrere Generationen, ob von Mythen oder etwas anderem, aber dass die Neugierde und Wille zum Wissen determinieren, die dadurch entstanden.
Eine andere Wissenschaft gibt es auch noch, die dunkler ist als dunkle Energie. Sie ist nur vom Geist der Technologie besetzt, um Macht und Gier zu befriedigen, und sie ist Wissen nicht mehr zum Zweck der Verdienste der Menschheit. Der Mensch war auf dem Mond und die Erde ist nicht flach. Es ging für die einen um Ehre und Ansehen, für die anderen um Wissen. Es war für die Sowiets der Wille nach Wissen und Erkenntnis, für die Rivalen, die jetzt planen zum Mars zu fliegen um dort Kolonien zu bauen, ohne dass vorher unser schöner blauer Planet Erde, das Wasser heissen soll, besser gepflegt wird und damit sein ganzes Leben – ist es eine Beute für die die nur an Gold oder Bodenschätze einer fernen Hölle denken, wie damals in den Kolonien des amerikanischen Kontinents und in Afrika und Asien.
Auf der Erde baut diese Art von Wissenschaft Atombomben und erweckt Misstrauen gegenüber dem Wissen und der Kultur. Sie missbraucht sie. Yuri Gagarin und die Hündin Laika waren oben. Sie brachten Kenntnisse, die die nach Ansehen und Ehre gierigen Rivalen später nutzten, um zu sagen “wir sind die Sieger”. Der Homo Sapiens hat sich nicht durchgesetzt, weil er die Fähigkeit dazu hatte, den Neandertaler zu betrügen, wie Yuval Harari in “Sapiens” schrieb. Sapiens ist eine durchaus Widerstand kräftige Spezies, die unter ungünstigen Bedingungen kreativer und möglicherweise einfallsreicher und wendiger war. Der Wille von beiden und allen anderen Vorfahren ist bei uns allen. Aus der Absicht der Alchemisten, einfaches Material in Gold zu verwandeln, das nie gelang, entstand durch nicht so gierige Wissenden die Chemie, die zusammen mit dem Wissen armer Hexen, die durch die Inquisition brannten, ergaben sich Medikamente die der Medizin dienen.
Unsere Errungenschaften haben Wirkungen, die Leben retten können. Die demgegenüber misstrauisch sind, rennen schnell zum Arzt, wenn nur eine Pflanzenkur nicht mehr ausreicht. Jedoch haben alle Medikamente Nebenwirkungen. Das ist das menschliche Dilemma. Unser Wille zum Leben bleibt aber unausweichlich. Unser Bewusstsein ist die Frage, die unbeantwortet bleibt, ob und wie es sich noch entwickelt. Der Wunsch des Menschen, sich als Lebewesen und Spezies im Universum zu verewigen und andere Sterne und Galaxien zu beherrschen, als wären wir dazu bestimmt, ist nichts anderes als der materielle Ersatz für Religion und für die Angst vor dem unvermeidlichen Tod. Es ist eine Reise in die Hölle und in der Dunkelheit, als besäßen wir keinen Maßstab für die Endlichkeit unseres eigenen Lichtes und könnten wir die Lebensdauer unserer Sonne überdauern. Dazu bilden wir uns ein, es gäbe andere Zivilisationen, die es auch tun, die Götter waren, von denen wir möglicherweise abstammen sollten. Mensch, Tier, Tier Mensch, sind wir, schon ein tolles Ergebnis unser Wille auf der Erde, aber zu über achtundneunzig Prozent mit den Schimpansen und nur etwas weniger mit der Gorilla Coco genetisch verwandt. Eitelkeit und Gier können unsere Vetter nicht. Nur Angst und Überlebensdrang. Der Mensch mag wohl “ ein Schauspieler auf der Bühne des universellen Theaters sein, wie Carl Gustav Jung uns definierte. Wir können jedoch interpretieren, unsere Ideen und Vorstellungen von gut und schön in der Welt inszenieren, genauso wie wir Verantwortung für die runde blaue Bühne und ihre Spezies wie auch für andere fühlen. Dazu erfanden wir Kunst, um uns auszudrücken, ohne die es keine Vorstellung geben würde.
Noel Nascimento-Filho
Studierte Musik an der Hochschule der Künste Berlin und an der Westfälischen Hochschule für Musik der Universität Münster. Wirkte in Brasilien auch als Dozent und Kunst, Kultur und Literaturkritiker. Lebt zur Zeit in Curitiba Brasilien.
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