Der Dokumenta-Skandal 2022

https://www.tagesschau.de/thema/documenta
[Der Aufstand 10/23, Seite 12]

Kurz nach dem Eröffnen der letztjährigen Dokumenta gab es einen Aufschrei des Antisemitismus. Nach einer Begehung durch einen Vertreter des Zentralrates der Juden wurde ein Gemälde verhüllt. Seitdem kam es immer wieder zu gegenseitigen Protesten seitens Künstler und jüdischer Verleger.

Was war passiert? Der Versuch einer Rekonstruktion.

Kurz vor Beginn des Dokumenta-Skandals war Claudia Roth noch in Hamburg auf Kampnagel, und wurde für die Hamburger Kunst- & Kulturbehörde vor der Dokumenta als Botschafterin benannt.

Als dann nach der Eröffnung am Abend wenige Stunden später bereits der Antisemitismusvorwurf geäußert wurde, stand noch nicht fest, wie die Kuratorionsleitung reagieren würde. Erst mit dem Aufschrei aus Israel stand fest, habe sich Deutschland kulturpolitisch einen „Fauxpas“ erlaubt. Kurz danach wurde auch schon ein Vertreter aus dem Zentralrat entsandt, der zusammen mit Frau Roth die ganze Ausstellung abging, um am Ende ein Bild verhüllt zurückzulassen. Die Kunstszene schrie natürlich „Zensur“, und bei genauerem Hinsehen des verhüllten Bildes war klar, dass dieses bereits 20 Jahre alt war und auf vielen Ausstellungen nicht als „antisemitisch“ eingestuft worden war. Aber alles intervenieren der Künstler half erst einmal nichts, das Bild blieb vor der Öffentlichkeit verhüllt.

Erst Wochen später in Blogs, die der jüdischen Community nahe stehen, wurde offenbart, was der eigentliche Grund war: das verhüllte Gemälde war ein Blitzableiter. Es musste sozusagen für einige echte Antisemitismus darstellende Werke stellvertretend der Öffentlichkeit präsentiert werden, um Schaden vom deutschen Kunstestablishment, allen voran Frau Dr. Roth und der neuen Dokumenta-Kuratorin abgewendet werden. Erstere hat ja als Studentin Erfahrungen gesammelt im Management der Band „Stein, Schere Papier“ – wobei es sich hier natürlich nicht um jüdisch-christliche Vornamen handelte -, letztere war Kuratorin einer bankenindustrienahen Kunststiftung und unserer Dokumenta noch nicht gewachsen. Wie auch immer man es betrachtet, die Öffnung der Kunst zu antisemitischen Inhalten ist vielleicht Anliegen der Kunstszene gewesen, hat aber die jüdische Öffentlichkeit entsetzt.

Einige Monate später demonstrierten die Künstler des verhüllten Bildes in der Hafencity und sogar in Lokstedt vor dem NDR, um schließlich eine Gastdozentenstelle an einer der Bildenden Kunst Unis der Stadt zu bekommen. Dieser „Schadensersatz“, vermutlich stillschweigend akzeptiert mit der deutsch-jüdischen Community, war das offizielle Schuldeingeständnis, ein Bild und Künstlerkollektiv beschädigt zu haben, dass es nicht verdient gehabt hätte, als antisemitisch ‚gelabelt‘ zu werden. Vermutlich wird sich um dieses Bild und Künstlerkollektiv Skandalruf und Geheimtipp bilden, allerdings unbegründet.

Bei diesem kleinen Skandal, der große Wellen schlug, bleibt natürlich im Dunkeln, welche Bilder auf der Dokumenta solche Wellen geschlagen haben, dass man sie nach der Eröffnung kurze Zeit später unter Zuhilfenahme dieser Beschädigung still und leise entfernen konnte. Der Schaden für die Kunst und für die Qualität der Dokumenta ist enorm und man muss fragen, ob nach dem „Hamburger Echo“, der nach Würdigungen solcher Textzeilen wie „mein Body ist definiterer als von einem KZ-Häftling“, oder „Ich mache mehr Asche als ein KZ-Ofen“ nicht die deutsche Kulturlandschaft ein Problem mit Ausländern der zweiten und dritten Generation hat, und ob Antisemitismus nicht bald ein Thema ist, dass unsere Außenpolitik nachhaltig belasten wird. Interessanterweise konnte Frau Baerbock nach ihrem Amtsantritt als Außenministerin bei ihrem ersten Auslandsbesuch in Israel inklusive Besuches der Gedenkstätte Yad Vashem, bei Israelis und Juden in der Diaspora gleichermaßen beeindrucken.

Hamburg, 26.02.2023
Von J.A. Dennis Gehrmann

das könnte auch interessant sein
Avatar-Foto

Von Redaktion

Die Redaktion wird gestellt vom Ortsverein „Gesellschaft der Gleichen“ des UMEHR e.V. mit der Zielstellung, die öffentliche Debatte durch radikaldemokratische Prinzipien zu fördern. Sie erstellt die Publikationen auf PDF und stellt die Beiträge hier online. Die Redaktion ist nicht Autor der Beiträge. Die Autoren sind unter ihren Beiträgen auf den Beitragsseiten zu finden. Eingereichte Beiträge geben nicht die politische Position der Redaktion wieder. Eingereichte Beiträge von Parteien bedeuten nicht, dass die Redaktion Mitglied dieser Partei ist oder Positionen dieser Partei vertritt. Jeder Autor ist für seinen Beitrag selbst verantwortlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert