zum 1.Mai!

Heraus zum 1.Mai!

Unter dem Motto »Für Frieden, Freiheit und soziale Gerechtigkeit« folgten 400 Menschen dem Aufruf der „Freien Linken“
von Bert Kartesas

Zum dritten Mal zogen wir mit einer Demonstration der „Freien Linken“ am 1.Mai durch Berliner Straßen. So wie die Jahre zuvor waren wieder drei rollende Demobühnen dabei. 2021 fand unsere erste Mai-Demo in Lichtenberg statt, das Jahr darauf und in diesem Jahr waren wir im Wedding unterwegs, zusammen mit „Berliner Kommunarden“, „Anarchistische Libertäre Freie Linke“, „Die Basis“, „Freedom-Parade“ und „Wir sind viele“.

Unsere wunderbare Debbie eröffnete die Auftaktkundgebung mit feurigen Worten, geißelte die schamlosen Verdrehungen der Politik und Medien: „Links ist nicht mehr links, Frieden nicht mehr Frieden – also: Krieg, Freude, Eierkuchen, oder was?“

Als erster Künstler begeisterte Karsten Troyke seine Zuhörer mit Liedern für das einzig gute Leben in wahrer Gemeinschaft und mit einem Lied für die Freiheit von Julian Assange: „Alle Karten, auf den Tisch, anders geht es nicht!“ sang er.

Jürgen-Michael Hackbarth aus Hamburg mischte uns Zuhörer mit einer Rede so richtig auf. Denn die wurde zu einem einzigartigen Dialog mit jedem von uns: „Wollt ihr Frieden? Ja! Wollt ihr Freiheit? Ja! Auch noch Selbstbestimmung? Ja! Wollt ihr etwa alles? Ja! Dann seid ihr hier richtig und ich bin euer Mann!“

„Aber wie erreicht man das?“ fragte Jürgen. „Wir müssen uns organisieren und die Mehrheit werden.“, so seine Forderung. Und zu diesen Worten hatte er auch Ideen mitgebracht, zum Beispiel: „Kein Streik ist verboten, ein Verbot ist immer nur richterliche Willkür, denn im Grundgesetz steht etwas anderes! Nicht einmal der Generalstreik kann verboten werden – es gibt nur die eine Frage, ob wir eine Mehrheit sind und es organisieren!“

Zwei Psychologen, Dietmar und Benjamin, sprachen über Wege der Emanzipation, heraus aus der Unterdrückung und Selbstunterdrückung. Was uns im Interesse der Herrschenden darin festhalten soll sind vor allem Angst und Isolation. Die aber können wir aus eigener Kraft überwinden. Die Spaltung in Opfer und Täter verhindert eine Lösung von Konflikten unter uns. Die Suche nach der wirklichen Begegnung aber, das authentische Beziehungsangebot, kann aus diesem Muster befreien. Unter uns Zuhörern wurde das Gefühl der Freiheit und der Selbstermächtigung sogar körperlich spürbar, brach Grenzen auf, als Dietmar ein kleines Experiment „sozialer Therapie“ vorschlug: „Und jetzt kann jeder seinen Nachbarn, so er will, umarmen … hört seinen Atem in dieser Umarmung, hört sein Herz schlagen.“

Zum Start der Demo schwoll unser Zug mächtig an. In vielleicht doppelter Zahl zogen wir an Weddinger Wohnhäusern und Geschäften vorbei. Ich hörte aus unserem Lautsprecher Sprüche für Frieden auf Arabisch und Türkisch, sah, wie die Leute am Rande sich umschauten und uns bestaunten. Sie wussten sofort: Da kommen Internationalisten, das sind keine, die „ihr Deutschland“ für sich so „ur-deutsch“ wie nur möglich halten wollen. Da kommen Leute, die wissen, die Grenzen liegen nicht zwischen uns Bürgern aus verschiedenen Kulturen, sie liegen in allen Ländern zwischen den Regierungen und den Völkern, zwischen oben und unten.

An unserem Zugende ließ Captain Future von seinem Wagen aus die Tanzlaune aufleben.

Malte sang unterwegs eine Aufkärungsballade über den Krieg in der Ukraine, die ganze Geschichte: Wie die Nato diesen Krieg wollte, plante und provozierte.

Auf dem Nettelbeckplatz sprach Selale zu Anwohnern auf Türkisch, dann auf Deutsch: „Die Eliten tun was sie wollen! Lasst uns von denen unsere Hände nicht mit Blut beschmieren, wir müssen aufstehen und uns dem Krieg widersetzen!“

Ich präsentierte ein Streiklied: „Einst im Mai“ und ein Russisches Antikriegslied, fort- und neu geschrieben über die Geschichte des Freiheitskampfes der Donbass-Republiken gegen den Krieg aus Kiew und des faschistischen Asow-Regiments.

Und schließlich erzählte uns Klaus über seine Erfahrungen aus dem Streik in Berliner Kliniken. Jeder mit Streik dem Arbeitgeber, gerade im Öffentlichen Dienst und somit auch der Regierung, abgerungene Euro ist heutzutage ein Euro weniger für ihre Kriegskassen! Seine Erfahrung: Die Beschäftigten wollen kämpfen!

Auf unserer Abschlusskundgebung sprach der Historiker Malte über die Struktur der Propaganda, wie sie die Menschen desorientiert und isoliert. Er sprach über eine in seinen Augen neu entstandene Gesellschaft, die des Finanzkapitals. Der sollten wir unsere Selbstorganisierung und auch Selbstversorgung entgegen setzen. Offen blieb die Frage, warum gut betuchte Unternehmer des produzierenden Kapitals nicht an unserer Seite gegen Finanzdiktatur und für höhere Löhne demonstrieren wollen. Gerade am 1.Mai spüren viele von uns, dass wir überhaupt nicht mit den Arbeitgebern in einem Boot sitzen. Es wird sich lohnen, diese Fragen weiter zu diskutieren.

Wir wurden von Günther an die Kämpfe in Frankreich gegen die Rentenreform erinnert. Er zeigte die Hintergründe der besonderen Kampfentschlossenheit in Frankreich auf, sprach von Mitstreitern aus Belgien und den Niederlande, von der großartigen Wirkung internationaler und praktischer Solidarität.

Und Hans, ein langjähriger Mieteranwalt, machte deutlich, dass die großen Mieterproteste 2018 bis 2019 (20.000 und 40.000 Demonstranten) den Mietendeckel für uns hätten retten können, wenn die Corona-Diktatur nicht alle Demonstrationen verboten hätte (und in Erinnerung an die Worte von Jürgen: „Wenn die Bevölkerung sie sich hätte nicht verbieten lassen.“). Mittlerweile muss ein Viertel der Berliner 40 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Es ist immer eine Frage der Kampfkraft, wie unsere Lebensbedingungen aussehen werden. Er erinnerte dazu an das erste Dekret der Pariser Kommune 1871, das alle Mietschulden aufhob.

Jean Theo las ein Gedicht von Margaret Anna Alic über die Niedertracht infamer Lügen und Denunziationen der Politik und Medien in den letzten drei Jahren gegen die kritische Bevölkerung. Wir Zuhörer spürten sofort unsere Erfahrungen mit dieser Hetz- und Spaltungspolitik wieder aufleben. Doch ebenso spürten wir unseren Mut zum Widerstand und unsere gelebte Solidarität füreinander. Beide haben aus uns in diesen Jahren eine Gemeinschaft geformt.

Matt und Lessly rundeten den frühen Abend ab – mit einer Virus-Austreibung. Matt brachte „in Absprache mit Dr. Drosten“ den Coronavirus mit seiner Selbstaufopferung als dessen letztem Objekt zur Strecke. Lessly sang uns ihre „Internationale“, ein Friedenslied für die Menschheit: Das unsere Welt immer schöner werde! Alle klatschten begeistert den Rhythmus zu ihrem A-capella-Gesang.

Es war ein bewegender und kraftvoller 01. Mai Umzug, der es geschafft hat, auch die zuschauenden Leute zu berühren. Und eben darum kommen wir wieder!

Es lebe der 1. Mai, Kampftag der Arbeiter und Lohnabhängigen! Es lebe der Frieden!

Freie Linke Berlin

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von Bert Kartesas
[Der Aufstand 19/23, Seite 4]

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